Kommentar

Durchmarsch zur Bourgeoisie

Den Sozialismus an sich hat die SPD längst aus ihrem Parteiprogramm gestrichen. Ersetzt wurde das Unwort damals durch "demokratischer Sozialismus". Aber auch der gehört für den Kieler Kreisvorsitzenden Rolf Fischer auf den Müllhaufen der Geschichte und schlicht "abgeschafft: Das stößt die Leute ab und behindert die Debatte um neue Formen sozialer Demokratie."

Sozialismus - demokratischer Sozialismus - soziale Demokratie, eine Entwicklungslinie, bei der das Wort "sozial" auch semantisch immer mehr in den Hintergrund tritt. Noch ist es Attribut und steht schließlich auch im Parteinamen. Doch auch das zu unrecht, wie die Politik der Schröder-Partei zeigt. Auch Fischer weiß das, und plant bereits den Durchmarsch von "Neuer Mitte" zur Bourgeoisie. Die neue Programmatik der Partei, die der schleswig-holsteinische Landesverband derzeit in einer "Kommission Grundsatzfragen" berät, könne er sich auch gut als "neue Bürgerlichkeit" vorstellen, sagte Fischer. Über das "Bekenntnis zu Wirtschaft, Markt und Wachstum" geht das weit hinaus. Fischer will, dass der Staat "sich auf Kernaufgaben beschränkt und die Sozialleistungen auf den Prüfstand stellt". Das Ergebnis solcher "Prüfstände" ist klar: Demontage. Die Kieler Rats-SPD unter ihrem stets eitel geleckt und sauber gescheitelt auftretenden Fraktionsvorsitzenden Jürgen Fenske startet grade durch zur Sozialsabotage. Mit dem WIBERA-Gutachten im Rücken wird man bei den Haushaltsberatungen 2000 zeigen, wie das geht.

Und auch der Parteilinken wird schon mal das Zittern gelehrt. Fischer und andere schelten sie "Traditionalisten" und machen sich über deren "linke Polit-Lyrik" lustig. Deutlich zeichnet sich ab, dass die Schröderianer "linke" Relikte in ihrer Partei einfach enthaupten werden. Man hat andere als linke Köpfe im Visier. Fischer sieht die Chance einer "neuen Sogkraft der SPD auf kritische Köpfe". Wer hier wen magisch anzieht, ist allerdings zweifelhaft. Ist es nicht eher die SPD, die machtversessen um jeden Preis den rechten Stammtischen die Füße leckt und dem allgemeinen Trend nach Rechts hinterher eifert? Wahrscheinlich ist es eine fatale Wechselwirkung zwischen dem Nachplappern neoliberaler Globalisierungsweltformeln und dem Antreiben der Dynamik des Rechtstrends.

Diese Dynamik unterschätzt die SPD offenbar. Die SPD-Rakete könnte, befreit von der Schwerkraft sozialer Verantwortung, weit über das Ziel "Neue Mitte" hinaus fliegen und ganz rechts, jenseits der CDU mit ihrer immerhin noch verbindlichen christlichen Sozialethik landen. Dass es in der Partei wie in ihrer Wählerschaft auch ein gehöriges Potential für Fremdenfeindlichkeit gibt, ist bekannt. Und von dem Geschwafel von einer Sozialpolitik, die auf "eine gemeinsame Verantwortung in Rechten und Pflichten" achtet, über das Schüren von Sozialneid "ehrlicher Arbeiter" gegen "Sozialbetrüger" bis hin zur Pogromstimmung ist zwar noch ein weiter Weg, aber einer, den Leute wie Fischer, nolens volens wohl, frei machen.

Denn dass man sich die Bourgeoisie und das Kapital nicht nutzbar machen kann, sondern dass diese gesellschaftlichen Kräfte umgekehrt willfährige und prinzipienlose Parteien zu ihren Bütteln machen, um dann nicht mehr nur ideologische, sondern ganz reale Durchmärsche zu veranstalten, hat die deutsche Geschichte mehrfach bewiesen.

(jm)