Flüchtlinge

Hafenstraßen-Prozess:

1 : 0 für die Verteidigung

Am 3.9. begann vor dem Kieler Landgericht das Revisionsverfahren gegen Safwan Eid. Bereits im ersten Prozess um den Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in der Lübecker Hafenstraße am 18.1.1996 war Safwan Eid die Tat vorgeworfen worden. Nach einem Freispruch "aus Mangel an Beweisen" wird der Fall nun nochmals aufgerollt - mit zweifelhaften prozessrechtlichen Methoden, denn zunächst, so die "Prozessökonomie", sollen nur belastende Zeugen vernommen werden (LinX berichtete).

1. Prozesstag - Prozessbeteiligte

Der Prozess wird vor der Jugendstrafkammer des Landgerichtes Kiel unter Leitung des Jugendrichters Jochen Strebos geführt. Die Anklage vertritt Staatsanwalt Andreas Martins. Die Nebenkläger Jean-Daniel Makodila-Dimbambu sowie Khalil, Assia, Hanan, Salem, Kalid und Walid El-Omari werden von Dr. Clausen vertreten, Rima, Nisrin, Nada und Salwa El Omari werden von Ulrich Haage vertreten. VerteidigerInnen von Safwan Eid sind Barbara Klawitter und Gabriele Heinecke.

Gleich zu Beginn des ersten Prozesstages beantragten die Rechtsanwältin Ursula Erhardt und der Rechtsanwalt Mülayim Hüseyin, als Nebenklage-Vertreter zugelassen zu werden. Sie wiesen ein Mandat von zwei Hausbewohnern vor, die beim Brand verletzt worden waren, aber im ersten Prozess nicht als Nebenkläger auftraten und insofern auch von dem Teilausschluss von NebenklägerInnen nicht betroffen waren. Der Richter wirkte leicht unsicher, wieweit es möglich war, sie auf eine spätere Entscheidung zu vertrösten. Er ließ sie im Saal in der letzten Reihe der NebenklägerInnen Platz nehmen, sie konnten auch zweimal zu Wort kommen, obwohl sie (noch?) keine Prozessbeteiligten sind. Sie selbst beantragten eine sofortige Entscheidung, da sie als Nebenklage-VertreterInnen das Recht hätten, an allen Verhandlungstagen (auch dem ersten) teilzunehmen.

Die Anklage

Der Staatsanwalt trug die gleiche Anklage wie im ersten Prozess vor und erläuterte auch, dass das die Lübecker Anklage von 1996 sei, die Kieler Staatsanwaltschaft hat nichts verändert. Sogar die falsche Adresse des abgebrannten Flüchtlingsheims (Neue Hafenstraße 52 statt Hafenstraße 52) hat die Kieler Staatsanwaltschaft nicht verbessert. Safwan Eid wird vorgeworfen, am 18. Januar 1996 um 3.30 Uhr im 1. Stock des Hauses mit Hilfe einer brennbaren Flüssigkeit Feuer gelegt zu haben, und zwar zusammen mit unbekannten Mittätern. Dadurch habe das Haus um 3.43 Uhr in Flammen gestanden. Safwan Eid äußerte sich nicht zur Anklage.

Zur Wiederholung

Anschließend verlas das Gericht den Beschluss des BGH, das gesamte Verfahren zu wiederholen, weil im ersten Prozess die Protokolle der Abhöraktion (6 Gespräche im Besuchsraum des Untersuchungsgefängnisses) nicht verwendet worden waren. Zusätzlich verlas das Gericht die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, dass die Abhörprotokolle keine Erkenntnisse gebracht hätten oder bringen würden.

Dann kam es zur ersten Konfrontation: Die Verteidigung kommentierte das BGH-Urteil mit einer Erklärung, die dem BGH vorwarf, sich der von Anfang an einseitigen Sicht der Lübecker Ermittlungsbehörden und der Staatsanwaltschaft angeschlossen zu haben. So sprach das Urteil davon, Safwan Eid habe unter ungeklärten Umständen nach dem Krankenhausaufenthalt seinen Kaftan vernichtet (was nicht stimmt), in der Eid-Wohnung sei ein leerer 20-Liter-Benzin-Kanister gefunden worden (der in einem von innen verschlossenen Raum gefunden wurde), auf den Tonbändern gebe es belastende Passagen (worüber der BGH keine ordnungsgemäße Übersetzung hatte), ferner, so die Verteidigung, habe Safwan Eid in vielen Vernehmungen seine Unschuld beteuert und zu allen Fragen widerspruchsfreie Erklärungen liefern können, während andere Verdächtige zu belastenden Indizien absurde Erklärungen abgaben, ohne angeklagt zu werden.

Nebenklage-Vertreter Dr. Clausen erwiderte, seine Mandanten hätten einen Anspruch auf ein Urteil nach Würdigung aller Beweise, und dazu gehörten eben auch die Abhörprotokolle. Außerdem widersprach er der Verteidigung, Safwan Eid habe auf alle Fragen ausführliche Erklärungen abgegeben, vielmehr habe er im ersten Prozess nach einiger Zeit weitere Aussagen verweigert, wie auch Familienangehörige, was aber deren gutes Recht sei.

Die Tagesordnung

Anschließend erläuterte Richter Strebos den beabsichtigten Ablauf des Verfahrens: Zunächst sollten nur belastende Aussagen gehört werden, weil sich das Gericht als erstes eine Übersicht verschaffen wollte, was für Indizien existierten, die die Anklage stützten. Dazu seien Zeugen, so Ermittlungsbeamte und der Hausmeister der Unterkunft, auch zunächst ausschließlich zu diesem Thema als Zeugen bestellt worden. Dann wolle das Gericht mit allen Prozessbeteiligten besprechen, ob die Anklage überhaupt hinreichend gestützt werde, nur dann seinen auch die Berücksichtigung entlastender Aussagen nötig, andernfalls könne der Prozess schon hier mit einem Freispruch enden. Das Gericht habe nicht die Aufgabe, durch die Ermittlung aller Umstände die Persönlichkeit des Angeklagten zu schützen oder gar gegen mögliche andere Täter zu ermitteln, sondern müsse nur prüfen, ob die Indizien, die die Anklage stützten, zutreffend ermittelt seien.

An dieser Stelle folgte eine lange Erklärung der Verteidigung. Sie bestritt, dass ein derartiges Vorgehen zulässig sei, denn so müssten die Zeugen ja ihr Wissen vorab daraufhin sortieren, welche Informationen belastend und vorzubringen seien, welche dagegen entlastend und vor Gericht zu verschweigen. Das wäre nicht zulässig: Zeugen müssten vollständig aussagen, und eine Bewertung, welche vorgebrachten Aussagen belastend und welche entlastend seien, sei ausschließlich Aufgabe des Gerichtes. Die Verteidigung nahm aber die Bemerkung des Richters über eine mögliche Abkürzung des Prozesses gerne auf und beantragte, als ersten Zeugen den Lübecker Staatsanwalt Dr. Michael Böckenhauer (inzwischen im Kieler Justizministerium beschäftigt) vorzuladen. Dieser würde bei wahrheitsgemäßer Aussage bestätigen, dass

und vieles weitere mehr. Mit der Vernehmung von Böckenhauer könne das Verfahren somit erheblich abgekürzt werden, und das sei auch im Sinne des Angeklagten.

Das Gericht vertagte sich daraufhin, um den Antrag zu beraten. Nach einer Pause widersprachen Nebenklagevertreter Haage und Staatsanwalt Martins dem Antrag, u.a. mit der Begründung, Böckenhauer als Ermittler könne viele Dinge, die Zeugen direkt erzählen könnten, nur vom Hörensagen berichten, das war auch der Tenor der Ablehnung des Antrages durch das Gericht.

Hier ging die Diskussion über das Gesamtverfahren wieder los. Die Verteidigung bezweifelte, dass bei Sammlung zunächst nur der belastenden Indizien noch ein fairer Prozess möglich sei, weil die Fortsetzung mit Entlastungszeugen dann bei voreingenommenen Richtern und Schöffen die Beweislast umkehre. Hier unterstützte Nebenklagevertreter Dr. Clausen ausdrücklich die Zweifel der Verteidigung an der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens. Beide beanstandeten die Ladung mit Themenvorgabe (nur Belastendes). Das Argument des Richters, man wolle sich erstmal einen Überblick verschaffen, ob die belastenden Indizien reichten, verwarf Clausen mit dem Argument, diese Übersicht sei schon vorhanden, weil es einen Eröffnungsbeschluss für das Hauptverfahren gebe - wenn zu wenig Indizien zur Unterstützung der Anklage da wären, würde ja überhaupt kein Gerichtsverfahren eröffnet (der Eröffnungsbeschluss sei bereits die Schlüssigkeitsprüfung der belastenden Indizien).

Die Verteidigung legte auch formell Widerspruch gegen die thematische Einschränkung (Beschränkung auf ein Beweisthema) bei der Zeugenladung ein.

Erneut beantragte auch Anwältin Erhardt, dass über ihre Beteiligung am Prozess als Nebenklage-Vertreterin erst entschieden werden müsse.

Das Gericht vertragte sich um 11.30 Uhr erneut, der Vorsitzende kündigte eine weitere Beratung mit gleichzeitiger Mittagspause an.

Eine Stunde später erschien das Gericht wieder und informierte, man habe sich in der Mittagspause nochmal mit der Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Nebenklage zusammengesetzt und entschieden, die Tagesordnung umzuwerfen. Alle geladenen Zeugen (bis auf einen) werden nicht gehört, d.h. die beanstandeten Ladungen praktisch zurückgezogen. Man wolle jetzt mit den Abhörprotokollen anfangen. Da der vom Landgericht beauftragte Übersetzer (der als Gutachter geladen wird) aber im Urlaub sei, ginge das erst am 20.9.

2. Prozesstag - Kein Streit im Haus

Am 13.9. wurde der Zeuge Roman Schick (36), Theologe und Erzieher, vernommen. Er ist Angestellter der Diakonie Lübeck und war zum Zeitpunkt des Brandes "Heimleiter" in der Hafenstraße 51. Ungefähr eine Stunde lang erklärte er anhand von Folien mit Grundrisszeichnungen die baulichen Gegebenheiten und die Belegung der einzelnen Räume. Anschließend sagte er zum Zusammenleben im Haus aus.

Zum Vorbau sagte er, es habe nach einem Vorkommnis im Sommer '95 (s.u.) eine neue Klingelanlage mit einer Klingel pro Stockwerk gegeben, diese habe sich über nacht (ca. 23-7 Uhr) automatisch ausgeschaltet. Die Haustür sei nachts normalerweise verschlossen gewesen. Das Fenster im Vorbau habe er nie offen gesehen, nach einer Beschädigung am Riegel sei es im Herbst '95 mit einer Holzleiste verschlossen worden. Der Briefkasten (Klappe in der Tür, verschließbarer Kasten innen) sei zum Zeitpunkt des Brandes heil gewesen.

Zum Thema Konflikte im Haus berichtete er von häufigen, allerdings normalen Streitigkeiten unter den Kindern, von gelegentlichen Auseinandersetzungen um Küchennutzung/Küchensäuberung sowie um unterschiedliche Tagesabläufe: Die einen, Berufstätigen, gehen früh schlafen (z.B. Fam. Eid, 1. Stock), bei den anderen ist noch spät Besuch da und Musik an (z.B. Fam. Makodila, 2. Stock). Speziell zu Safwan Eid sagte er, der sei nach seiner Erinnerung nicht an Auseinandersetzungen beteiligt gewesen. Der Richter fragte ausdrücklich nach Rauschgift und nach Prostitution im Haus, beides kam laut Schick nicht vor.

Erörtert wurde noch das mehrfache Abreißen bzw. Ankokeln eines Zettels an der Bürotür, auf dem der Bereitschaftsdienst (nachts) vermerkt war. Schick sah das als vermutliche Revanche aus einer Gruppe größerer Kinder im Haus, die er mehrfach zur Ordnung rufen musste. Ansonsten wurde Ende Juni 1995 einmal nachts eine Teer-ähnliche Flüssigkeit an die Bürotür sowie auf den Flurfußboden gekippt - nie aufgeklärt. Das Münztelefon sei mehrfach beschädigt gewesen, sonst gab's nichts. Der Rauchmelder, eine weitere Frage, sei intakt gewesen und z.B. Sylvester 1995/96 angeschlagen, nachdem Knaller gezündet worden waren.

Safwan Eid sei ein besonnener, ruhiger junger Erwachsener, bei Diskussionen mit HausbewohnerInnen sei Schick immer froh gewesen, wenn Safwan dabei war. Das Verhältnis zur Familie habe sich im Sommer '95, nach Ablehnung einer Umzugserlaubnis, sehr verschlechtert, Ende 1995 sei es wieder besser geworden.

Die Nebenklage (Haage) fragte intensiv nach Autos der Familie Eid sowie nach Benzinkanistern, Schick konnte dort überhaupt nicht weiterhelfen.

Die Verteidigung (Heinecke) wollte wissen, wann und wie die Polizei bei den Vernehmungen am 18.1.96 und 19.1.96 (21.05-23.30 Uhr) den "Familienvater" im ersten Stock eingeführt habe. Da hat die Polizei mehrfach nachgefragt, Schick habe immer gesagt, dass dort außer Marwan Eid kein Familienvater wohne. Als ab dem 20.1.96 dieser Familienvater als Haftgrund gegen Safwan Eid in der Presse genannt wurde, habe Schick sich nicht zu Wort gemeldet, weil er ja wusste, dass die Polizei bescheid wusste.

Dolmetscher befangen?

Am 3. Prozesstag, 20.9. soll ab 10.00 Uhr die Übersetzung der abgehörten Gespräche in U-Haft behandelt werden. Dazu will das Gericht die unwichtigen Passagen im "Selbstleseverfahren" herauslassen, die wesentlichen sollen von dem ursprünglichen Dolmetscher Yachoua und dem neuen Sprachwissenschaftler gemeinsam übersetzt und bei Differenzen diskutiert werden.

Die Verteidigung lehnt Yachoua als befangen ab, weil er im Frühjahr 1996 bei seiner erste Übersetzung stark interpretiert hat, Zweifel verschwieg, Äußerungen wertete, angeblich zitternde Stimme wertete etc. Außerdem habe er von sich aus die Stimmen auf dem Band identifiziert, obwohl das nicht zu seinen Aufgaben gehörte.

Über den Antrag will das Gericht bis zum 20.9. entscheiden. Wenn es dem Antrag stattgibt, verlangt die Nebenklage einen neuen zweiten Übersetzer, während der Verteidigung einer reicht und ein zweiter nur gebracht wird, wenn es Zweifel an der Übersetzung gibt.

(Reinhard Pohl)

Aus dem Widerspruch der Verteidigung gegen das Verfahren, zunächst nur Belastendes zu erörtern:

"Dem Angeklagten wird zugemutet, sich in diesem Stadium der Beweiserhebung auf die Infragestellung der ihn aus Sicht des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage belastenden Indizien zu beschränken, ohne durch andere Umstände und Geschehnisse die Meinungsbildung des Gerichts bereits zu Beginn der Beweisaufnahme beeinflussen zu können, um dann ggfs. in einer vom Vorsitzenden vorgestellten zweiten Phase der Beweisaufnahme die Verteidigung gegen eine zu seinen Lasten bereits getroffene Vorentscheidung führen zu müssen.

Eine solche Umverteilung der Beweislast in der Beweisaufnahme und Hauptverhandlung widerspricht der Amtsaufklärungspflicht und beeinträchtigt den Angeklagten grundlegend in seinem Recht auf Verteidigung."

Die Prozessberichterstattung erfolgt online über http://www.gaarden.net/hafenstr/ Für weitere Rückfragen und Informationen zum Prozessablauf: Gegenwind, Reinhard Pohl, Tel. 0431/565899, Fax 577056, E-Mail: gegenwind-kiel@t-online.de