Flüchtlinge

Hafenstraßen-Prozess:

Gericht sieht Entlastendes

Es gibt "nicht den aller geringsten Anhaltspunkt" für eine Tatbeteiligung Safwan Eids. Zu diesem Schluss kam am vergangenen Montag die Jugendkammer des Landgerichts in einer Zwischenbilanz. Vor dem muss sich der 23jährige seit Anfang September erneut gegen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft verteidigen, er habe im Januar 96 den Brand in einem Lübecker Flüchtlingsheim gelegt, bei dem seinerzeit 10 Menschen starben.

Die Zwischenbilanz war fällig geworden, nachdem man endlich mit dem Anhören der Tonbänder durch war, die in der Untersuchungshaft aufgenommen worden waren. Diese haben, so das Gericht, keine neuen Indizien ergeben, die für eine Schuld des Angeklagten sprechen würden. Der Sprachsachverständige des Bundeskriminalamtes hatte einige der von der Staatsanwaltschaft als belastend bewerteten Passagen offensichtlich falsch oder ungenau übersetzt (LinX berichtete). Dort, wo er vor Gericht bei seiner ursprünglichen Version blieb, verstand ein zweiter Übersetzter meist etwas anderes oder gar nichts. Das Gericht entschied sich denn auch dafür, die strittigen Sequenzen unberücksichtigt zu lassen und vermied damit vorerst eine Entscheidung über einen Befangenheitsantrag gegen den BKA-Übersetzer. Den hatte die Verteidigung schon Ende letzten Monats gestellt.

Auf den Bändern, stellte der Vorsitzende Richter Strebos fest, gebe es keinen Hinweis auf ein Motiv. Ein längeres Gespräch, in dem Eid seinem Bruder schildert, wie er in der Nacht geweckt wurde, wertete das Gericht ausdrücklich als entlastend. Er habe seinem Bruder lebhaft geschildert, wie er von dem Brand überrascht wurde. Das Gericht konnte keinen Grund sehen, weshalb der Angeklagte seinen Bruder ohne Not belogen haben sollte.

Auch zu den Aussagen des Rettungssanitäters Leonhardt äußerte sich die Kammer am Montag. Dieser will in der Brandnacht von Eid den Satz "Wir waren es" gehört haben. Auch wenn man diese Aussagen als wahr unterstelle, könne darin kein Hinweis auf eine Tatbeteiligung gesehen werden. Das "Wir" sei zu allgemein und drücke nur die Identifizierung mit einer Gruppe aus.

Während sich Staatsanwalt Martens, der einen ungewöhnlich desinteressierten Anklagevertreter abgibt, sich einer Stellungnahme enthielt, gab die Nebenklage Widerspruch zur Bewertung des Gerichts zu Protokoll. Sie geht nach wie vor davon aus, dass der Angeklagte einem Mitbewohner eins habe auswischen wollen. Nach ihrer Lesart habe er deshalb vor einer Wohnungstür im Haus ein kleines Feuer gelegt, das dann außer Kontrolle geraten sei. Die Verteidigung wies diese Sichtweise als rein spekulativ zurück.

Richter Strebos nutzte indes die Gelegenheit, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es nicht seine Aufgabe sei, zu ermitteln, wer an Stelle des Angeklagten als Täter in Frage komme. Für die Verhandlung in Kiel bleibe nur noch, zu untersuchen, ob es weitere Indizien gibt, die nicht in das Lübecker Urteil eingeflossen sind und die auf eine konkrete Tatbeteiligung Eids hindeuten.

Als Zeugen hörte das Gericht in diesem Zusammenhang am Montag drei Beamte, die die ersten Vernehmungen mit dem Angeklagten durchgeführt hatten. Dies brachte zwar nichts Neues, schon gar nicht etwas Belastendes. Ihre Ausführungen über den Ablauf der Verhöre rückten vielmehr erneut die Ermittlungstätigkeit der Lübecker Staatsanwaltschaft und Polizei ins Zwielicht.

So wurden dem Zeugen Leonhardt bei seiner ersten Aussage in einer sog. "Wahllichtbildvorlage" Fotos von sechs männlichen, nicht-schwarzhäutigen Bewohnern des Flüchtlingsheimes zur Identifizierung vorgelegt. Fünf der sechs Personen waren Mitglieder der Familie Eid. Wie diese merkwürdige Auswahl zu Stande kam, dazu konnte der daran beteiligte Beamte keine Auskunft geben.

Für die Verteidigung stellte sich weiterhin die Frage, warum ein so wichtiger Zeuge wie Leonhardt von nur einem Kripobeamten vernommen wurde, der dann auch die Glaubwürdigkeit der Aussagen Leonhardts nicht hinterfragt hatte. Die Verteidigung äußerte an dieser Stelle erneut den Verdacht, dass es sich bei der ganzen Anklage von Beginn an um ein Konstrukt gehandelt habe.

Sehr dubios erschien auch die Vernehmung Safwan Eids durch einen BKA-Beamten, angeblich bewandert in "arabischer Mentalität", der Safwan Eid u.a. auf den Koran schwören ließ und auch ansonsten sehr zweifelhafte Methoden anwandte. Der heute als Zeuge gehörte Kripobeamte gab an, er habe dieser Vernehmung nicht folgen können, obwohl er damals die ganze Zeit über anwesend war. Der weitaus überwiegende Teil dieser Vernehmung ist nicht dokumentiert worden - weil die Vernehmungsmethoden unzulässig gewesen seien, wie die Verteidigung mutmaßte.

Am Dienstag nach Redaktionsschluss wurde der Prozess mit der Vernehmung zweier weiterer Lübecker Kripobeamten fortgesetzt. Des weiteren kündigte das Gericht an, noch den LKA-Brandsachverständigen Herdejürgen hören zu wollen, allerdings nur zu der Frage, ob es seit dem Lübecker Prozess neue Erkenntnisse über den möglichen Brandverlauf gebe. Weiteren Beweisbedarf sieht das Gericht derzeit nicht. Es liegen auch keine weiteren Beweisanträge vor.

(wop, Prozessbericht)