KERNspalte

Erst wurde im Frühjahr die große bundesweite Anti-Atom-Demo beschlossen, dann wurde sie mangels Vorbereitungskräften wieder abgesagt. Doch jetzt übernehmen die Bäuerinnen und Bauern aus dem Wendland die Initiative. Am 13.11. steigt in Berlin die "Stunkparade" unter dem Motto "Schröder - wir kommen". Die Bäuerliche Notgemeinschaft will damit an den legendären Treck 1979 nach Hannover anknüpfen, als 100.000 Menschen hinter den Treckern für den Ausstieg aus der Atomkraft demonstrierten.

Atomunfälle hin, Entsorgungskrise her - die Bundesregierung hat viel Zeit. Die Befristung der Konsensgespräche und endgültiger Entscheidungen zum Atomausstieg bis zum 30.9. (siehe letzte KERNspalte) ist bis zum Jahresende vertagt worden. Wie bei Grünens inzwischen üblich, bezeichnete Fraktionssprecher Rezzo Schlauch auch diese Lange Bank als "Erfolg seiner Partei".

Das älteste deutsche Atomkraftwerk in Obrigheim hat seit zwei Wochen das erste genehmigte Zwischenlager auf einem AKW-Gelände in Betrieb genommen. Damit entfällt zunächst das Entsorgungsproblem, die Castor-Behälter mit abgebrannten BE werden einfach aus dem AKW in die Stahlbetonhalle gefahren. Beste Voraussetzungen für einen Weiterbetrieb des Uralt-AKW mindestens bis 2010. Dies betonte der Chef von Energie Baden-Württemberg, Gerhard Goll, in einem Interview der Wochenzeitung "Die Zeit". Als Begründung nannte er den Klimaschutz. Je länger die Atomlobbyisten darüber nachdenken, desto beständiger führen sie dieses Argument ins Feld. So auch das Memorandum von 565 Wissenschaftlern und Professoren, die noch einen Tag vor dem Unfall in Tokaimura von der Bundesregierung die Aufgabe der Ausstiegspläne verlangten.

Trittins neuestes Verhandlungsangebot will den AKW-Betreibern mehr Planungsfreiheit geben: Es soll nur noch eine Durchschnittslaufzeit für alle AKWs geben (Trittin: 25 Jahre; EVU: 42 Jahre), Überschreitung dürften gegen Unterschreitungen dieser Laufzeit gehökert werden, so dass unrentable AKWs vielleicht schon früher stillgelegt würden (mit Blick auf die BT-Wahlen), andere dagegen über 40 Betriebsjahre laufen könnten. Obrigheim würde in diese Krämerrunde schon mal mit einem Soll von 6 Jahren starten, wenn es bei Trittins Vorstellung bliebe - müssen die dann einem neueren AKW abgezogen werden??

Bei Biblis A kann man auch dann nichts abziehen, wenn man es jetzt sofort stilllegt (der Block hat 25 Jahre rum). Das müsste nach einem Gutachten des Öko-Instituts sowieso sein, denn der Reaktor ist nicht erdbebensicher und steht in einer kritischen Zone. Eine Nachrüstung mit einer Notstandswarte außerhalb des Reaktorgebäudes würde sich vermutlich kaum noch lohnen.

Biblis B will nochmal alte BE loswerden. Die Betreiberfirma hat nun nach Neckarwestheim ebenfalls einen Transport ins westfälische Ahaus beantragt. Eigentlich sollten die BE zur WAA nach La Hague - das geht aber erstmal nicht, solange ein Gutachten zum Kontaminationsschutz solcher Transporte nicht abgearbeitet ist.

In der Woche des großen Unfalls mit kritischer Masse gelangten auch die beiden Plutoniumtransporte per Schiff nach Japan, über deren Abfahrt aus Sellafield und Cherbourg in dieser Rubrik vor einigen Wochen berichtet wurde. Über die 450 kg Plutonium in den atomwaffenfähigen MOX-Brennelementen an Bord der nur leicht bewaffneten Schiffe hatten sich die Japaner ebensowenig Sorgen gemacht wie über die Gesundheit von JCO-Arbeitern, die hochangereichertes Uran in Eimern durch die Gegend trugen.

Obwohl der Antrag auf ein Zusatzgestell für 43 weitere abgebrannte Brennelemente im Abklingbecken eine "wesentliche Änderung" darstellt, können die Betreiber des AKW Stade (HEW) hoffen, die technische Prüfung bis zum Dezember abzuschließen, da das Umweltministerium in Hannover schon so gute Vorarbeit geleistet hat. Falls das nicht klappen sollte, hat Trittin noch einen Notanker ausgeworfen: "Transportbereitstellungslagerung". Das bedeutet, dass das BMU die temporäre Lagerung von Atommüll in mehr oder weniger geeigneten Behältern auf dem Kraftwerksgelände im Freien "zur Abholung" so lange dulden will, bis der Transportstopp wieder aufgehoben werden kann. Nach Meinung von Umweltschützern handelt es sich bei diesem Vorschlag um eine rechtswidrige Zwischenlagerung, da die genehmigte Gesamtmenge, die sich bisher nur auf das Abklingbecken bezog, zwangsläufig überschritten werden muss, um den Betreibern einen Vorteil zu bringen. Nach Meinung einiger ist die Ankündigung der Grünen, an einer Entsorgungslösung konstruktiv mitarbeiten zu wollen, sobald der Ausstieg fest stehe, nun endgültig zur Farce verkommen: Mit allen, sogar rechtswidrigen Mitteln versuchen Grüne, den Weiterbetrieb der Atomanlagen zu sichern, obwohl nicht einmal in Ansätzen ein Konsens, ein Ausstiegsgesetz und schon gar kein unumkehrbarer Atomausstieg erkennbar ist. Die Parkgenehmigung für abgebrannte Brennelemente irgendwo auf dem AKW-Gelände sei dann wohl "verantwortungsvoller Umgang mit Atommüll auf grüne Art" (J. Stay).

Brandenburg will seine radioaktiven Abfälle aus Medizin, Wirtschaft und Wissenschaft im Zwischenlager Lubmin bei Greifswald (Meck-Pomm) lagern. Auch 4 Castorbehälter aus dem stillgelegten AKW Rheinsberg sollen schon in wenigen Monaten dorthin. Allerdings fehlt für hochradioaktiven Müll noch die Zwischenlagergenehmigung. Für die will der MV-Umweltminister Methling schon sorgen - damit auch ein PDS-Minister mal zeigen kann, was Verantwortung bedeutet!

Der Abriss des Schnellen Brüters "Superphenix" in Creys-Malville in Südostfrankreich beginnt im Oktober und wird schätzungsweise 16,8 Mrd. Franc (5,6 Mrd. Mark) kosten und frühestens im Jahr 2005 beendet sein. Zunächst sollen die Brennelemente und 5.000 Tonnen flüssiges Natrium entfernt werden, das zur Kühlung diente. Der 1.240-Megawatt-Reaktor steht bereits seit Anfang 1996 still. Er war wegen zahlreicher Pannen nur 30 Monate in 13 Jahren in Betrieb und lieferte nur knapp zehn Monate lang Strom.

Die Slowakei hat der EU-Kommission versprochen, die als besonders unsicher geltenden beiden Atomreaktoren in Bohunice im Jahr 2006 beziehungsweise 2008 abzuschalten. Die russischen WWER-Reaktoren gelten als nicht nachrüstbar. Geschmiert wurde diese Ankündigung mit 20 Mio. Euro jährlich. Nach Ansicht des benachbarten Österreich sind die Sicherheitsvorrichtungen aber so unzureichend, daß nur eine sofortige Abschaltung zu vertreten ist. Vergleichbare Reaktoren des Typs WWER laufen auch in Kosloduj in Bulgarien (4 Blöcke). Zwei RBMK-Reaktoren vom Tschernobyl-Typ im litauischen Ignalina sind ebenfalls nicht nachrüstbar. Auch diese Länder bewerben sich um eine EU-Mitgliedschaft.

Am 30.9. starteten die USA (Department of Energy) in Nevada einen subkritischen Atomtest, der der Auftakt zu einer ganzen Reihe mit dem Namen "Oboe" sein soll. Das Department behauptete, die Tests befänden sich in voller Übereinstimmung mit dem internationalen Atomtestmoratorium.

In der Schweizer Bundeskanzlei sind zwei Volksinitiativen mit je 120.000 Unterschriften eingegangen: Für einen geordneten Rückzug aus den 5 Schweizer AKW innerhalb von 10 Jahren und für eine Verlängerung des Baustopps um weitere 10 Jahre. Die Initiatoren nennen als Alternativen Kraft-Wärme-Kopplung, Energieeinsparungen bei Licht und Heizung sowie regenerative Energiequellen. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke reagierte bereits mit dem bekannten Klimaschutz-Argument ("keine Treibhausgase").

(BG)