Flüchtlinge

Hafenstraßenprozess: Freispruch für Safwan Eid

"Indizien für die Unschuld"

Nachdem ihn die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussplädoyer am letzten Verhandlungstag bereits beantragt hatte, überraschte der Freispruch für den Libanesen Safwan Eid am 2.11. vor dem Kieler Landgericht nicht. Eid war vorgeworfen worden, er habe wegen eines Streits mit Mitbewohnern den Brand im Lübecker Asylheim gelegt, bei dem am 18.1.96 zehn Menschen ums Leben gekommen waren. Bereits im Juni 1997 war er vom Lübecker Landgericht nach 60 Verhandlungstagen "aus Mangel an Beweisen" freigesprochen worden - ein Freispruch "zweiter Klasse". Jedoch hatte der Bundesgerichtshof eine Wiederholung des Verfahrens anberaumt, weil die Abhörprotokolle aus Eids Untersuchungshaft im ersten Verfahren nicht als Beweismittel verwendet worden waren. Die Nebenkläger, Opfer des Brandes, sahen v.a. in diesen Protokollen Indizien, die Eid belasteten.

Der Freispruch in Kiel ging in der Begründung weit über das Lübecker Urteil hinaus. Richter Jochen Strebos, der die Eid angeblich belastenden Indizien ein weiteres Mal Revue passieren ließ, sagte, die Abhörprotokolle seien "in ihrer Gesamtheit eher als den Angeklagten entlastende Indizien" zu werten. In einer Vielzahl von glaubhaften Unschuldsbeteuerungen habe es auf den umstrittenen Tonbändern lediglich zwei Stellen gegeben, die "auf den ersten Blick" hätten Zweifel aufkommen lassen. Dass Eid offenbar genau gewusst habe, welches Strafmaß ihn erwarte, sei für jemanden, der keine Strafe zu befürchten habe, weil er unschuldig ist, zwar ungewöhnlich, nicht jedoch "für einen Untersuchungshäftling, dem keiner glauben will". An der anderen zweifelhaften Stelle auf den Tonbändern, wo Eid gesagt haben soll "Ich weiß, was ich in dem Haus gemacht habe", habe das Gericht nicht mehr als "unidentifizierbare Silben" ausmachen können. Ohnehin habe sich die Bewertung der Abhörprotokolle oftmals "auf dem Feld der Spekulation bewegt". Die Protokolle seien daher "ohne jede Beweiskraft".

Resümierend stellte Strebos fest, die erneute Verhandlung habe nicht nur keine beweiskräftigen Indizien gegen Eid zu Tage gefördert, im Gegenteil gebe es nunmehr "gewichtige Indizien, die für die Unschuld des Angeklagten" sprächen. In diesem Teil der Begründung sah auch Eids Verteidigerin Gabriele Heinicke einen weitergehenden Freispruch als den von Lübeck. Vor allem aber habe das Gericht endlich geklärt, dass Eids Satz "Wir warn's", den der Rettungssanitäter Leonhardt kurz nach dem Brand von ihm gehört haben will, "so nicht gesprochen wurde".

Einer der Vertreter der Nebenklage, Ulrich Haage, zeigte sich mit dem Freispruch unzufrieden. Die Beweisaufnahme sei "vorschnell beendet" worden. Auf die Frage, warum sich die Nebenklage trotz der wenig aussagekräftigen Abhörprotokolle auf Safwan Eid als Täter eingeschossen habe, sagte Haage, er habe "keine Erkenntnisse über andere Verdächtige".

Mit dem Freispruch für Safwan Eid sieht die Justiz das Verfahren, vorbehaltlich eventueller Revisionsanträge, als abgeschlossen an. Zwar sei es für die Nebenklage "nachvollziehbar unbefriedigend", dass kein Täter ermittelt werden konnte, sagte Richter Strebos. Jedoch könne und dürfe eine Strafkammer "keine weiteren Beweise gegen nicht Angeklagte erheben", das sei Aufgabe von Ermittlungsbehörden. Die Kammer habe lediglich über die Schuld oder Unschuld des aktuell Angeklagten zu entscheiden. So habe es sich verboten, das Verfahren fortzuführen, als absehbar war, dass gegen den Angeklagten keine beweiskräftigen Indizien vorlägen.

Trotz des Freispruchs, der weiter geht als der aus dem Lübecker Prozess, und der Bewertung des Gerichts, die Indizien sprächen eher für die Unschuld Eids, bleibt der Prozessausgang nicht nur aus der Sicht der Nebenkläger unbefriedigend. Schon die Tatsache, dass aus Gründen der "Prozessökonomie" nur Indizien und Zeugen gegen Eid zugelassen worden waren, um deren Beweiskräftigkeit zu prüfen und nunmehr zu verwerfen, war von UnterstützerInnen und Verteidigung Eids scharf kritisiert worden. Der Prozessverlauf hatte dadurch kaum Gelegenheit gegeben, auf die vielfältigen Ermittlungs-"Pannen" bei der Verfolgung der vier tatverdächtigen Neonazis aus Grevesmühlen hinzuweisen und dort neue Ermittlungen zu fordern. Mit der Erklärung des Staatsanwalts in seinem Schlussplädoyer, dass der Brandanschlag "wohl niemals aufgeklärt" werden könne, will sich das Lübecker Bündnis gegen Rassismus denn auch nicht zufrieden geben. In einer Presseerklärung fordert das Bündnis die sofortige Wiederaufnahme der Ermittlungen in Richtung auf die Grevesmühlener.

(jm)