Ratssplitter

Norbert Gansel ist genervt. Immer wieder habe er sich in Leserbriefen in den KN als "hartherziger OB und Boykotteur" beschimpfen lassen müssen, wenn es um den Neubau der Sporthalle in Russee ging. Gegen solches Anspruchsdenken müsse mal klargestellt werden: "Wir geben keine Gelder, wir verwalten Schulden, die wir für die Bürger gemacht haben." Und damit auch klar ist, was der OB vom Willen seiner quengelnden Untertanen hält, fügt er hinzu: "Ich halte es eigentlich für unverantwortlich, dass wir etwas Neues bauen, während wir das Alte nicht unterhalten können." Insofern sei die Verpflichtungsermächtigung für die Russeer Sporthalle "lediglich eine politische Notwendigkeit". Und an die Adresse der CDU, die die VE um 1 Mio. DM erhöhen wollte: "Sie sind doch sonst immer für public private partnership, und die ist doch auch ein Stück Bürgergesellschaft." Also, Bürger von Russee, aux Spendenbüchse! Denn euer Patriarch kann schließlich nicht alles bezahlen, auch nicht das, was notwendig wäre. Aber beachtet auch, was euch Edina Dickhoff (Grüne) ins Stammbuch schrieb: "Den Russeern wird bis zur Landtagswahl eine Karotte hingehalten, die dann weggezogen wird. Denn wenn der OB sagt, eigentlich sei das unverantwortlich, gerade mal politisch notwendig, dann ist das nicht sonderlich vertrauenswürdig."

Eine Sozialpolitikerin von ganzem blair-schröderschem Korn ist Bürgermeisterin und Sozialdezernentin Bommelmann. In ihrer Grundsatzrede zur Sozialpolitik (sozial immer in Anführungszeichen!) gab sie folgende Sätze zum Besten: "Die öffentliche Verschuldung ist strukturelle Gewalt gegen die nächste Generation." Merk auf also, anspruchsdenkender Sozialhilfeempfänger: Du bist nicht Opfer einer verfehlten und zutiefst ungerechten Sozial- und Wirtschaftspolitik, sondern mit deinem Anspruch, der dir ja eigentlich gar nicht zusteht, ein Täter, der sich an den eigenen Kindern und Enkeln vergeht. Und merke auch: "Was nicht abgefordert wird, wird verlernt", z.B. dein "gemeinnütziger" Arbeitseifer für Volksgemeinschaft und Vaterland, denen beiden du so kontinuierlich zur Last fällst. Und Bommelmann wird nicht müde in ihrem Eifer gegen die "Sozialschmarotzer", obwohl sie schon 12 Mio. im Sozialhilfeetat einsparen konnte: "Eine wichtige Aufgabe liegt noch vor uns, nämlich die Operationalisierung des WIBERA-Gutachtens." Also, SelbsthelferInnen, hört die Signale! Mit dem WIBERA-Spuk ist trotz zum Himmel schreienden Dilletantismus des Gutachtens noch lange nicht Schluss.

Noch schlimmer ist eigentlich nur die CDU. Sie will, so Ratsfrau Martens, "das Prinzip der Nachrangigkeit in der Sozialhilfe wieder herstellen" und "das Anspruchsdenken zurückdrängen". Ein "hohes Sparpotential" bestehe ferner in der "konsequenten Bekämpfung des Missbrauchs" (der Regelfall in der Sozialhilfe, wie wir ahnen). Ach ja: Die Zuwendung für die Arbeitslosen-Ini wollte die CDU ganz streichen. Grund: Die Beratung könnten auch Arbeits- und Sozialamt leisten. Also, Alo oder Sozi: Wenn du Probleme mit deinem Sachbearbeiter hast, wende dich doch vertrauensvoll an ihn selbst.

Geradezu wohltuend in solcher Debatte ist das sozialdemokratische Urgestein Eckehard Raupach. Obwohl auch er zu allen sozialen Grausamkeiten der SPD die Hand hebt, flüstert ihm sein Bart wohl doch noch zuweilen ein, wer noch so einen Bart trug. So wandte er gegen das neoliberale Gebläse seiner Fraktion, seines OB und seiner Sozialdezernentin vorsichtig ein: Zwar sei es richtig in Sachen Verschuldung von der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen zu sprechen. "Aber es kann dann aus diesen auch mal jemand fragen, warum habt ihr damals im Sozialen so wenig gemacht?"

Nochmal WIBERA. Und nochmal Raupach: "Mit der Präsentation ihres Gutachtens hat die WIBERA auch die letzte fachliche Qualifikation verspielt." Doch in den Wein der Ablehnung des Gutachtens als Grundlage für eine neue städtische Sozialpolitik mischte auch mancher das Wasser, das da fließt in den Wasserköpfen der Kaputtsparer. OB Gansel: "Die schlechte Qualität des Gutachtens entbindet uns nicht von der Pflicht, die sozialen Leistungen zu effektivieren, und sollte uns auch nicht dazu verleiten, kleine Anbieter und die Szenen, die sich darum geschart haben, zum Zentrum unserer Sozialpolitik zu machen." Wulff (CDU): "Wir müssen das Gutaachten als Anstoß nehmen, uns weiter mit der Rückführung von Doppelangeboten zu beschäftigen." Und Fraktionskollege Kramer begründete den Wunsch nach vollständiger Kürzung der Zuwendung an Lotta e.V. (Mädchenhaus) bereits mit dem WIBERA-Ergebnis. Kollegin Engelke legte nach: "WIBERA ist zwar keine Zauberformel, aber, und da beziehen wir uns auf WIBERA, Zuwendungen im sozialen Bereich sind nicht zu rechtfertigen, wenn wie bei IHRISS (Beratung von Frauen mit Psychartrieerfahrung) und donna clara (Beratung lesbischer Frauen) kein erhebliches öffentliches Interesse besteht." Gegen solche interfraktionelle Einigkeit hilft nur noch Dickhoff (Grüne): "Das WIBERA-Gutachten geht aus vom Leitbild einer möglichst billigen obrigkeitsstaatlichen Planwirtschaft." Doch auch bei den Grünen grassiert offenbar schon der WIBERA-Virus, denn Dickhoff ergänzte: "Einen Bestandsschutz kann es freilich dennoch nicht geben."

(jm)