Antifaschismus

Nazi-Demo am 30.1.

Kein Heimspiel

Nur massives Polizeiaufgebot konnte Nazis den Weg freimachen

Ein alter Mann hatte Tränen in den Augen: Ausgerechnet am 30. Januar, dem Jahrestag des Machtantritts Hitlers, waren 800 Nazis aus ganz Deutschland nach Kiel gekommen, um gegen die Wehrmachtsaustellung zu demonstrieren. Das Ordnungsamt hatte den Aufzug zunächst verboten, doch hob das Schleswiger Verwaltungsgericht die Verfügung am 28. wieder auf.

Für viele unverständlich, verzichtete die Stadt darauf, Rechtsmittel einzulegen. Wie es hieß, um der Polizei Planungssicherheit zu geben. Oberbürgermeister Norbert Gansel riet den Kielern, den von den Jungen Nationaldemokraten angemeldeten Aufmarsch hinzunehmen. In der Ratsversammlung drückte sich die SPD-Fraktion um die Verurteilung der Nazi-Demonstration. Windelweich auch die Erklärung führender Sozialdemokraten und Gewerkschafter (u.a. Horst Herrchenröder vom DGB Kiel und Rolf Fischer vom SPD-Kreisverband): Sollten die Nazis in Kiel demonstrieren, so habe man Verständnis, wenn dagegen friedlich protestiert werde. Einen Aufruf zur antifaschistischen Gegenwehr konnte man das beim besten Willen nicht nennen.

So konnten denn die Kahlköpfe zusammen mit einigen Ewiggestrigen unter massivem Polizeischutz durch Kiel ziehen. Die Beamten störten sich dabei weder an der Vermummung einiger Teilnehmer, noch an der Verherrlichung von NS-Organisationen, noch an den kaum verblümt skandierten Morddrohungen gegen den Organisator der Ausstellung Jan-Philipp Reemtsma. Aus taktischen Gründen, so ein Polizeisprecher, habe man nicht eingegriffen. Es sei jedoch umfangreich dokumentiert worden und es werde ermittelt. Warten wir es ab. Gansels "Planungssicherheit" scheint auf jedem Fall v.a. der Planung der polizeilichen Durchsetzung des Nazi-Aufzuges gedient zu haben.

Dem Aufruf des antifaschistischen Bündnisses folgten nach Angaben der Demo-Leitung rund 2.500 Antifaschisten, manche davon aus benachbarten Städten, sowie aus Dänemark und Schweden. Andere zählten sogar 4.000, die sich am Europapaltz versammelten, um die Holstenstraße hinauf zum Alten Markt zu ziehen. Auf Kundgebungen sprachen neben Vertretern verschiedener antifaschistischer Gruppen und der Grünen auch Matteus Weiß vom Landesverband der Sinti und Karl-Otto Meyer, langjähriger SSW-Landtagsabgeordneter.

Am Alten Markt gab es dann eine Abstimmung mit den Füßen. Nachdem die Demonstration offiziell aufgelöst worden war, entschied sich die große Mehrheit dazu, den Nazis entgegenzuziehen, um ihnen den Weg zu versperren. Nur etwa 50 zogen zum Landeshaus weiter. Zu dieser Zeit formierte sich am Wilhelmsplatz bereits der Demonstrationszug der Nazis. Kleinere Gruppen versuchten da bereits, ihn anzugreifen. Auf dem Knooper Weg wurde eine Barrikade errichtet, die nach Augenzeugenberichten den Zug fast eine Stunde aufgehalten haben soll. Daß dabei ausgerechnet ein NDR-Wagen umgeworfen wurde, gehört nicht unbedingt zu den intellektuellen Glanzleistungen des Tages.

In der Innenstadt zogen indes an die Tausend zur Kreuzung Lorentzendamm/Bergstraße, um dort die angemeldete Route zu blockieren. Die Polizei versperrte mit starken Kräften den weiteren Weg, verhielt sich jedoch ruhig und ließ sich auch von den umvermeidlichen alkoholisierten Punks nicht weiter provozieren. Verschiedene Redner betonten wiederholt per Megaphon, daß es sich um eine Aktion des zivilen Ungehorsams handele und man kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Polizei habe. Als schließlich klar war, daß der Naziaufmarsch abgekürzt wurde, zog die Menge zur Fleethörn, um nunmehr dort den Weg zu versperren.

Doch hier konnte sich keine ruhige Blockade mehr aufbauen. Die Polizei rückte schon bald mit Wasserwerfern an, und ein Greiftrupp nahm jede Gelegenheit war, Leuten, die meinten mit Flaschen etwas gegen Wasserwerfer ausrichten zu können, in die Menge nachzusetzen. Die Antifaschisten wurden dadurch schnell auseinandergerissen, und die Wasserwerfer setzen sofort nach. Erst als sich ein altes Pärchen mit seinem Transparent vor die Blockade stellte, wurde die Einsatzleitung etwas ratlos. Ganz offensichtlich wagte man nicht, sie, wie zuvor andere Demonstranten, von der Straße zu spritzen. Doch nach ca. 10 Minuten nahte die Lösung in Gestalt einiger jugendlicher "Helden", die einen Müllcontainer vor die Alten rollten. Sie kamen gar nicht mehr richtig dazu, die Behelmten mit leeren Dosen zu bewerfen. Die Wasserwerfer wurden sofort wieder eingesetzt, und der Rest der Fleethörn war in weniger als einer Minute geräumt.

Immerhin hatte diese Blockade dazu geführt, daß die Nazis, die bereits im oberen Ende der Fleethörn standen, nicht mehr bis zum Rathausplatz ziehen konnten. Statt dessen wurden sie auf kurzem Wege am Exer vorbei zurück zum Wilhelmsplatz geführt. Am Exer wurden sie dann noch einmal ordentlich mit Wurfgeschossen eingedeckt.

Am Rande kam es zu 48, z.T. wahllosen Festnahmen. Darunter auch ein langjähriger HDW-Betriebsrat, der nicht schnell genug aus dem Weg gegangen war. Er bezahlte dafür mit einer Verletzung am Auge und muß wohl mit einer Anzeige rechnen. Insgesamt zählte die Polizei zwei verletzte Polizisten und acht verletzte Gegendemonstranten. Daß es nicht mehr waren, ist angesichts der zahlreichen Wurfgeschosse aus den hinteren Reihen eher Zufall.

Versuch eines Fazits: Manche Stimmen sprechen angesichts der verkürzten Demoroute des rechten Spuks von einem Erfolg. Positiv ist sicherlich, daß den Nazis gezeigt wurde, daß man sie nicht gewähren läßt, daß sie nur unter massivem Polizeischutz demonstrieren können. Unerträglich der Gedanke, die Faschisten könnten ihre Terrorpropaganda ungestört durch die Straßen tragen.

Die Blockaden hätten allerdings wesentlich effektiver sein können, wenn die "Militanten" sich v.a. an der unteren Fleethörn zurückgehalten hätten. Statt der Flaschen und Steine hätten sie genausogut mit Wattebäuschen schmeißen können. Ihr "heldenhaftes" Vorpreschen und panisches Flüchten hat es der Polizei wesentlich erleichtert, den Weg freizumachen. Viele Ängstlichere wurden außerdem verschreckt.

Schwerer wiegt allerdings in der politischen Bewertung, daß es im Vorfeld nicht gelungen war, genügend Druck für ein effektives Verbot des Nazi-Aufzugs zu machen. Auch wenn verschiedene SPD-Ortsgruppen zur Gegendemonstration aufgerufen haben, ist es doch auf der Negativ-Seite zu verbuchen, daß sich die örtlichen Führungen der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften so eine windelweiche Position erlauben konnten.

Schließlich ist auch zu vermerken, daß die Einwanderer vollkommen unterrepräsentiert waren. Am mangelnden Haß der Immigranten-Kids auf die Nazis kann es eigentlich nicht gelegen haben, daß sie nicht gesehen wurden. Offensichtlich gibt es in Kiel keine linke Kraft, die sie mobilisieren kann.

(Text + Fotos: wop)