Kommentar

Deregulieren = Entdemokratisieren

"Keine Tabus" hatte Hans-Werner Tovar, SPD-Ratsherr und Aufsichtsratsvorsitzender der städtischen Gesellschaft Versorgung und Verkehr Kiel (VVK), bei der Erstellung eines neuen Unternehmenskonzepts für die VVK gefordert. Er hatte Arbeitsplätze und Ökologie gemeint, die notfalls der Wirtschaftlichkeit geopfert werden müßten, wenn die VVK-Tochter Stadtwerke auf dem liberalisierten Energiemarkt bestehen wolle. OB Norbert Gansel jedoch machte unter dem Druck "schneller Entscheidungen", die es nun zu fällen gelte, damit die Stadtwerke den Anschluß im "Krieg auf dem Strommarkt" (Jens Moriz, CDU-Ratsherr) nicht verpassen, ein ganz anderes Faß auf. Darin flogen Tovar die abgemahnten "Tabus" alsbald um die Ohren.

"Sehr schnelle Entscheidungen" bedeuten für Gansel nämlich auch, daß die Mitwirkungsmöglichkeiten der Ratsversammlung eingeschränkt werden müssen. "Ich will", so Gansel in seiner inzwischen eingeschliffenen selbstherrlichen König-von-Kiel-Diktion, "daß die Aufsichtsräte der VVK von den Dezernenten bestellt werden. Es sollen auch nicht mehr alle Aufsichtsräte Ratsmitglieder sein, wir brauchen mehr externen Sachverstand." Für schnelle Entscheidungen könne man "nicht mehr lange durch die Ausschüsse gehen". Ein Unternehmen, das "um sein Überleben" kämpfe, von "50 Leuten" führen zu lassen, sei "der sichere Ruin". Die Ratsversammlung dürfe kein "Oberaufsichtsrat" mehr sein und solle zu bereits ausgearbeiteten Vorschlägen "nur noch Ja oder Nein" sagen.

Diesen "Putschversuch" Gansels nahm die Ratsversammlung weitgehend schweigend hin. Lediglich Tovar gab zu bedenken, daß die neue Gemeindeordnung die Selbstverwaltung schon genug entmachte, das solle man nicht weiter forcieren. Doch mit diesem leisen Protest blieb Tovar in seiner Fraktion allein. Sein Fraktionsvorsitzender Jürgen Fenske sekundierte vielmehr dem OB: "Hinter unsere steinzeitlichen Prozeduren, wo sich alle Fraktionen an allen Entscheidungen beteiligen, will ich vor dem Hintergrund des Strukturwandels ein großes Fragezeichen setzen." Eine "neue Justierung der Rollen" von Verwaltung und Selbstverwaltung sei nötig. Zwar dürfe man die Mitwirkung der Ratsversammlung nicht auf starre Ja/Nein-Entscheidungen reduzieren, aber er wolle keine "Spiegelstrichdebatten um jede Kleinigkeit".

Hat die Ratsversammlung einfach nur keinen Bock mehr, sich durch das Gewirr der ohnehin schwierig zu durchschauenden Materie zu kämpfen - was ihre demokratische Pflicht wäre? Oder warum sieht sie ihrer Entmachtung - nicht nur in diesem Punkt - tatenlos zu? Wo in der linken Debatte Demokratisierung der Wirtschaft gefordert wird, die bei öffentlichen Unternehmen noch am einfachsten durchzusetzen wäre, baut man die sowieso schon geringen Mitwirkungsmöglichkeiten hier noch weiter ab.

Wiedereinmal zeigt sich, daß Deregulierung und Entdemokratisierung zwei Seiten einundderselben Medaille sind. Von der SPD ist dagegen selbstverständlich kein Widerstand zu erwarten, sieht man mal von Tovars zaghafter Kritik ab. Links von der SPD gibt es im Kieler Rat nur noch die Grünen. Die aber sagten dazu keinen Piep. Wahrscheinlich träumen sie koalitionsdisziplinierten Blicks nach Bonn immer noch von der "Versöhnung von Ökonomie und Ökologie" und haben dabei die (Wirtschafts-) Demokratie längst aus dem Auge verloren.

(jm)