Aus dem Kieler Rat

Die Autonomen sind's gewesen ...

CDU verweigert Zustimmung zur Ablehnung von Nazi-Aufmärschen in Kiel

In der Januarratsversammlung hatte die SPD einem Resolutionsantrag der Grünen zur Nazidemo am 30.1. die Dringlichkeit verweigert (LinX berichtete), so daß darüber nicht beraten wurde. Dafür flossen in der Ratsversammlung vom 18.2. nunmehr reichlich Krokodilstränen über den "schlimmen Tag für Kiel" (CDU-Fraktionsvorsitzender Arne Wulff). Daß man nicht schon im Januar darüber beraten habe, sei "ein Fehler" gewesen, räumte Inge Lindner (SPD) ein. Doch auch jetzt konnte sich die Ratsversammlung nicht auf eine gemeinsame Resolution gegen Nazi-Aufmärsche in Kiel einigen.

Grund dafür war eine unterschiedliche Bewertung, wer für die Gewalttätigkeiten am 30.1. verantwortlich sei, die sich in den Texten der Alternativanträge widerspiegelte. Während die SPD, offenbar mit schlechtem Gewissen, daß sie nur verhalten zur Gegendemonstration aufgerufen hatte, in der Zukunft "auch Aufrufe zu Gegendemos" unterstützen wollte, "wenn diese demokratisch, friedlich und gewaltfrei sind", wollte die CDU dem nicht folgen, solange "linksextreme Gewalt" in der Resolution nicht ebenso deutlich wie die rechtsextreme verurteilt werde. Die CDU war in allen Redebeiträgen darum bemüht, eine "Front der Demokraten gegen jeglichen Extremismus" zu schmieden und bemühte dazu die übliche Gleichmacherei zwischen Links- und Rechtsextremismus.

Die Grünen, so Arne Wulff, müßten sich fragen lassen, ob die von ihnen angemeldete Gegendemonstration nicht erheblich zur Gewalttätigkeit beigetragen habe. Die Grünen hätten "Leuten, die Randale machen und das Ansehen der Stadt beschmutzen wollten, Unterschlupf gewährt". Hartmuth Kluth (Grüne) entgegnete, die CDU wolle sich nicht gegen Gewalttäter wenden, sondern gleich die ganze Gegendemo kriminalisieren. In schöner Eintracht mit Wulff befand sich auch der OB Norbert Gansel. "Autonome und Chaoten" hätten mit ihrer Gewalt den Neonazis "in die Hände gespielt". Neonazis und Autonome seien "beide Feinde der Demokratie". Nach den "Ausschreitungen" anläßlich der Gelöbnisfeier auf dem Rathausplatz im August sei dies nun schon der zweite Fall, wo sich Grüne mit "Gewalttätern" gemein machten. Zwar sei es schwierig, Gewalttäter von einer friedlichen Demonstration auszuschließen, aber er, Gansel, wisse aus eigener "68er-Erfahrung", daß man damals immer bemüht gewesen sei "Gewalttäter gegen staatliche Institutionen" zur Räson zu bringen. Erneut plädierte Gansel für die "entsetzte Fassung", mit der man statt einer Gegendemonstration den Naziaufmarsch hätte "hinnehmen" sollen. "Besser wäre ein Schweigemarsch ohne Transparente gewesen, bei dem möglichst viele Kieler an der Route des Naziaufmarsches gestanden und den Neonazis demonstrativ den Rücken zu gekehrt hätten." Daß ein solches "Konzept" dem ebenfalls von Gansel zitierten Ausspruch Willy Brandts, man solle "nie wieder wegsehen, wo Unrecht geschieht", widerspricht, fiel dem OB allerdings nicht auf.

Eine weitere Auseinandersetzung gab es um das Verbot der Nazidemo, das vom Schleswiger Verwaltungsgericht am 28.1. kassiert worden war. Arne Wulff kritisierte dabei die "Richterschelte" Gansels, der das schleswiger Urteil als "weltfremd" bezeichnet hatte. Streng nach der Verfassung, so Wulff, habe das Gericht richtig entschieden, und es könne nicht angehen, daß "Gerichte zum Fällen politischer Urteile" aufgefordert würden. Gansel hätte wissen müssen, daß seine Verbotsentscheidung gerichtlich keinen Bestand haben würde. Zudem hätte die Verwaltung ein Angebot aus dem Innenministerium ausgeschlagen, für ein bestandskräftiges Verbot die entsprechenden "nachweisbaren Tatsachen" zu liefern, daß aus den Reihen der Neonazis gewalttätige Aktionen zu erwarten seien. Genau deren Fehlen hatte das Gericht bemängelt und den Veranstaltungstag, auf dessen Brisanz die Stadt ihr Verbot gestützt hatte, nicht als ausreichend für ein Verbot anerkannt.

Nach einer Sitzungspause, in der man versucht hatte, sich auf einen interfraktionellen Antrag zu einigen, wurde schließlich der Resolutionsantrag von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU und SUK beschlossen, die hartnäckig auf einer Verurteilung "autonomer Gewalttäter" bestanden. Vorher hatte die CDU noch versucht, die Schlappe zu verhindern, bei einer Resolution gegen Naziaufmärsche nicht mitzustimmen. Jakob Vieregge (CDU) meinte, es müsse ja nicht am Ende jeder Debatte ein Beschluß stehen. Deshalb sollten einfach alle Resolutionsanträge zurückgezogen werden, und man solle es bei "diesem fruchtbaren Meinungsaustausch" belassen. Dem folgten SPD und Grüne glücklicherweise nicht. Ob die beschlossene Resolution bei zukünftigen Nazi-Aufmärschen jedoch irgendeine Wirkung haben wird, bleibt sehr fraglich. Im Zweifelsfalle wird man sich wieder mit dem Hinweis auf "autonome Chaoten" aus der Verantwortung stehlen und die einzigen, die über Lippenbekenntnisse hinaus Widerstand gegen Neofaschismus leisten, nachträglich dafür kriminalisieren.

(jm)

Text der von SPD und Grünen beschlossenen Resolution:

"Die Ratsversammlung wehrt sich entschieden gegen Aufmärsche von Neonazis in der Landeshauptstadt Kiel. Wir unterstützen Menschen, unabhängig von ihren sonstigen politischen Überzeugungen und Organisationen (Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Soziale Verbände etc.), die dagegen friedlich und gewaltfrei protestieren."