Kultur

Soziokultur "ganseln"?

Streit um Kürzung bei den soziokulturellen Zentren geht weiter

Beim Kieler Schauspieler Siegfried Jacobs zuhause hat sich eine Wendung eingebürgert. Wenn etwas nicht zu bezahlen scheint, sagt man kurz: "Das ganseln wir!" Als Jacobs diesen Kalauer am 19.11. bei der Podiumsdiskussion über die Zukunft der von Gansels Sparplänen in der Existenz bedrohten soziokulturellen Zentren zum besten gab, erntete er Beifall. In seinem Rücken hatten AktivistInnen vom Arbeitskreis "Sozialer Unfrieden" - zunächst gegen den Widerstand einiger städtischer Bediensteter des Kulturamts - eine noch deutlichere Losung aufgehängt: "Stoppt Gansel!"

Doch eben das scheint nicht so einfach, wie es klingt. Ute Kohrs-Heimann, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und für diese auf dem Podium, unterstrich zwar ihre persönliche Meinung, daß es zu den in Gansels Haushaltsentwurf geplanten 10%igen Kürzungen für die Kommunikationszentren Hansastr. 48, Hof Akkerboom und Kulturladen Leuchtturm nicht kommen dürfe. Jedoch sei sie "nur eine von 25 in der Fraktion", und "hier (vor der Klausurtagung der SPD zum Haushalt am 21.11. - jm) Versprechungen abzugeben, wäre unlauter". Dennoch schätze sie die Stimmungslage in der SPD-Fraktion wie auch im Kieler Kreisverband so ein, daß man Gansels Sparplänen in diesem Punkt "wohl nicht folgen" werde. Deutlich weniger Elan bereits bei den immer noch von Kürzung auf Null bedrohten FrauenLesben-Kulturveranstaltungen. Und auch auf die Frage, wo über das Sparen hinaus bei der SPD kulturpolitische Inhalte vertreten werden, antwortete Kohrs-Heimann zunächst: "Bei fast einer Milliarde Schulden ist Sparen eine sehr wichtige Aufgabe" und verwies ansonsten nebulös auf den Kulturentwicklungsplan, den ihre Partei im April '99 vorlegen werde. Ein Ergebnis dieses Plans könne auch sein, daß man sich "von der Förderung einiger Kulturangebote verabschieden" müsse, um die anderen "überlebensfähig ausstatten zu können".

Auf Stelzen gegen Kaputtsparen: Protestaktion vorm Rathaus (Foto: jm)

Aber nicht nur bei der SPD von inhaltlichen Konzepten kaum eine Spur. Ratsherr Klaus-Peter Kramer (CDU) zog sich darauf zurück, daß die CDU schon seit Jahren eine "Förderung Null" für die Hansastraße beantrage, weil die Hansastraße "nicht in das Konzept der CDU zur Stadtteilkultur" passe. Daß dieses "Konzept" bis auf Rudimente in Begründungen zu Anträgen an die Ratsversammlung nie öffentlich vorgelegen hat, geschweige denn diskutiert werden konnte, das nur nebenbei. Der CDU komme es auf eine "Evaluation der Effektivität der Kulturarbeit in den soziokulturellen Zentren" an. Würde die durchgeführt, könne man sehen, wo "gut gearbeitet und wo geschludert" werde. Im übrigen solle man bitte beachten, daß "das Geld, das die Verwaltung ausgibt, andere Leute schwer erarbeitet haben".

Die SUK hatte ihren Ratsherren Dirk Hammerich ins Rennen geschickt. Auch er landete bezüglich inhaltlicher Prägnanz nur unter ferner liefen. Kürzungen müßten sein, aber nicht mehr als 10% jährlich. Dann könne man sich eventuell darüber unterhalten, ob der Level von 90% vertraglich für mehrere Jahre festgeschrieben werde.

Eher konzeptionelle Blässe auch bei den Grünen und ihrer Fraktionsvorsitzenden Edina Dickhoff. Zwar kann man sich bei den Grünen darauf verlassen, daß sie gegen jegliche Kürzungen im Kulturetat sind, doch über diese Mitteilung hinaus und rhetorisch nicht üble Sottisen gegen den OB hörte man wenig von ihnen. Dickhoff konnte aber immerhin auf das Kulturentwicklungskonzept der Grünen verweisen, das seit drei Jahren fertig in der Schublade liegt, ebenso auf den Dialog, den die Grünen i.G. zu den anderen Ratsparteien auch institutionalisiert immer wieder mit Kulturschaffenden pflegen.

Von den Kulturschaffenden selbst kam die Kritik, daß sie bei Kürzungsplänen überhaupt nicht gefragt würden. Daß dies "ein Unding" sei, dem mußte aus dem Publikum auch Ratsherr Ekkehart Raupach (SPD) zustimmen. Ferner fehle beim alljährlichen Tauziehen um die schon ohne Kürzungen viel zu knapp bemessenen Gelder jegliche Planungssicherheit. So hat der Hof Akkerboom sofort nach Bekanntwerden der Kürzungspläne seiner Mitarbeiterin auf einer halben Stelle gekündigt, um rechtzeitig einen drohenden Konkurs abzuwenden. Deutlicher kann man kaum machen, daß auch Kürzungen um "nur" 10% statt der ursprünglich geplanten Kürzung auf Null für die soziokulturellen Zentren das Aus bedeuten, oder wie es Lothar Bock, Leiter der LAG Soziokultur und Geschäftsführer der Pumpe, ausdrückte: "90% bedeuten eine bezahlte Grabstätte für die soziokulturellen Zentren."

Überhaupt brachte Lothar Bock die intelligentesten Gedanken in die Diskussion ein, wenn auch der Grat zwischen "Werte"diskussion der Soziokultur und taktischem Einlassen auf das nur noch betriebswirtschaftliche Vokabular der Politik auf der einen Seite und einem Plädoyer für Kultur als "Institution der demokratischen Bildung und Bewegung sowie für ästhetisches Lernen" auf der anderen oft recht schmal ausfiel. So kritisierte Bock, daß die Politik die Forderungen der Kulturschaffenden "immer nur als materielle" aufnehme, um dann ein umfangreiches Zahlenwerk nachzuschieben, was Soziokultur kostet bzw. den Regierenden in anderen Bundesländern wert ist. Wie schon bei der Podiumsdiskussion zur Stadtgalerie vor einigen Wochen erinnerte Bock daran, daß "jede in Kultur investierte Mark mit dem Faktor 1,4 bis 1,7" als Steuereinnahme wieder ins Stadtsäckel zurückfließe. Selbst dieses vollständige Eingehen auf den DM-Jargon, den die Politik offenbar nur noch verstehe, beeindruckte diese aber kaum. Wichtig jedoch Bocks Hinweis, daß das von der CDU immer wieder eingeforderte Sponsoring als Finanzierung für Kultur nur bei der "bürgerlichen Hochkultur" und der Kommerzkultur funktioniere. Für Subkultur jedoch ließen sich keine Sponsoren finden.

Einig waren sich die "Betroffenen" in zweierlei: Zum einen müsse die Stadt mehr Planungssicherheit durch den Abschluß mehrjähriger Verträge bei fest zugesicherten Zuschüssen schaffen, ähnlich wie bei der Pumpe, deren Vertrag mit einem gedeckelten Zuschuß noch 18 Jahre läuft. Ute Kohrs-Heimann gab dafür grünes Licht, jedoch werde sich die Stadt auf "einen so langfristigen Vertrag wie bei der Pumpe sicher nicht wieder einlassen". Zum anderen komme es auf eine stärkere Vernetzung der Kulturschaffenden untereinander an, um eine schlagkräftige und geschlossene Lobby gegen die Sparpolitik zu schaffen. Nach dem kulturpolitischen Erbsünden der letzten Monate, Abriß der Schwentineschule und Kaputtverlegung von Stadtgalerie und Kulturviertel, scheint sich eine solche "Kulturfront" nun mehr und mehr abzuzeichnen. Jedoch sprechen die Vertreter der einzelnen soziokulturellen Zentren immer wieder auch nur für sich. Etwa Hella Gripp, die beklagte, daß der Kulturladen Leuchtturm noch nicht einmal eine bezahlte Stelle habe und insofern noch ärmer als Hansastraße und Hof Akkerboom dran sei.

Es bleibt abzuwarten, ob der Salamitaktik von OB Gansel - erst 100%ige Kürzungen ankündigen, dann jovial auf 10% heruntergehen - und der SPD-Fraktion, nur vage Solidaritätsadressen abzugeben, nachhaltig etwas entgegengesetzt werden kann, oder ob am Ende doch wieder "nur" das eigene Überleben im Vordergrund steht. Gelingt es nicht, der in kulturellen Fragen sich auch bei dieser Podiumsdiskussion wieder als völlig inkompetent präsentierenden Politik selbst erarbeitete Konzepte entgegenzusetzen, könnte sich die kabarettistische Einlage des grünen Kulturpolitikers und Hansastraßenbewohners Rainer Pasternak (gespielt zusammen mit Anja Wermke vom Werkstatt-Theater) bewahrheiten. In diesem Sketch wurde die mögliche Zukunft der Verwaltung gezeigt: Gansel konzentriert alle Ämter in einem kombinierten "Bau- und Sparmarkt-Amt", in dem inhaltliche Konzepte durch die Kenntnis der Sonderangebote im Baumarkt ersetzt werden. Übrigens: Norbert Gansel selbst kauft nicht beim sparsamen Baumarkt. Für die Verzierung des Rathausturms mit Wimpeln hat er in den Haushalt 25.000 DM eingestellt - ziemlich genau die Summe, die er bei den soziokulturellen Zentren einsparen will.

(jm)