Antifaschismus

NPD-Provokationen in Kiel

Ein Erfahrungsbericht und persönliche Stellungnahme

Am 19.8. und am 9.9. hatte ich auf dem Exer-Wochenmarkt Begegnungen mit NPD-Verteilern, die für diese jeweils mit dem Verlust eines großen Teils ihrer Flugblätter und für mich mit Anzeigen wegen Sachbeschädigung endeten.

Über den ersten Zusammenstoß gab es einen kurzen Bericht im NDR-Fernsehen, so dass ich schon mehrfach darauf angesprochen worden bin, während der zweite Vorfall bisher nur wenigen bekannt ist. Da nun zum einen das Zustandekommen eines Verfahrens wegen Sachbeschädigung wahrscheinlicher geworden ist und die Faschisten zum anderen gedroht haben, mir nach Hause zu folgen, will ich hier zu diesen Vorfällen Stellung nehmen, soweit ich persönlich beteiligt war.

Am 19.8. gegen 12 Uhr wollte ich gerade mit meinem Einkauf nach Hause gehen, als mir jemand im Vorübergehen ein Flugblatt in die Hand drückte. Als ich sah, dass es sich um ein Naziblatt handelte, stellte ich den Verteiler und seine zwei Begleiter an der Ecke zur Eckernförder Straße, nahm ihm seine Zettel weg und zerriss sie. Eine erfreulich große Zahl von Menschen blieb stehen, fragte, worum es ging, und diskutierte darüber. Kurz darauf kam ein Fernseh-Team des NDR vorbei und filmte den Vorgang, was den Nazis äußerst unangenehm war. Derweil hatten diese die Polizei gerufen, es wurden Personalien aufgenommen, einer der NPD-Leute zeigte mich wegen Sachbeschädigung (und, sachlich schlicht falsch, wegen Körperverletzung) an. Ich wurde von der Polizei aufgefordert, den Ort des Geschehens zu verlassen und die Nazis nicht weiter zu stören (ihr Propagandamaterial war angeblich nicht zu beanstanden), und die Faschisten verzogen sich.

Am 9.9. gegen 12.45 Uhr wiederholte sich der Vorfall in Form einer Provokation. Die Nazis, die wohl wiederum am Rande des Wochenmarktes verteilt hatten, folgten mir auf den Markt, einer drückte mir halb von hinten ein Flugblatt in die Hand, und als ich mich empört umdrehte, fotografierte mich eben der Faschist, mit dem ich drei Wochen vorher zusammengestoßen war. Wiederum landete ein Teil der NPD-Handzettel auf dem Boden, und eine Reihe von mir unbekannten Personen beteiligte sich an ihrer Zerstörung. Wiederum wurde die Polizei gerufen, und es gab eine Anzeige wegen Sachbeschädigung (und, wenn ich das recht verstanden habe, wegen "Beleidigung"). Die Nazis mussten sich entfernen, weil sie auf dem Markt nicht verteilen durften, und ich setzte meine Einkäufe fort.

Während die Faschisten beim ersten Mal verschiedene Flugzettel verteilten - zwei unterschiedliche mit Hetze gegen Ausländer und Asylbewerber und eine Hamburger (!) Zeitung mit Drohungen gegen die "Rote Flora" -, gaben sich die NPDler auf den beim zweiten Mal verteilten Blättern ganz als unschuldig verfolgte Demokraten. Auf den den Berufsverbots-Flugblättern demokratischer Initiativen aus den 70er Jahren nachempfundenen Zetteln prangt vorn der NPD-Chef Voigt mit einer Binde um den Mund, auf der "BRD-Maulkorb" stand. Auf der Rückseite konnte man die Präsidiumsmitglieder der Partei in der gleichen Schafspelz-Kostümierung bewundern. "Redeverbot für nationale Politiker? Niemals!!" lautet ihre Forderung. Und auch in diesem ganz betont auf harmlos gemachten Blatt heißt es im Zuge des Versuchs, an soziale Missstände anknüpfend nationalsozialistische Demagogie zu entfalten, so wie immer: "Ausländer überschwemmen unser Land! ... Nicht die Ausländer sind in Deutschland überwiegend Opfer der Gewalt - sondern immer mehr Deutsche werden Opfer ausländischer Gewalttäter!"

Während beider Vorfälle warfen mir die Nazis lautstark vor, ich sei gegen Meinungsfreiheit und Toleranz. Sie wagten es, Rosa Luxemburgs Wort, dass Freiheit immer die Freiheit anders Denkender sei, in den Mund zu nehmen. Ich erkläre hier, was ich den Nazis selber bestätigt und Umstehenden erläutert habe: Ja, ich bin den Faschisten gegenüber gegen Meinungsfreiheit und jegliche Toleranz. Der Faschismus muss aus dem politischen Leben einer demokratischen Republik ausgemerzt werden. Im Kampf für dieses Ziel können Kräfte freigesetzt werden, die eine Entwicklung der Gesellschaft hin zu wirklicher Freiheit für jedes ihrer Mitglieder ermöglichen. Wer Faschismus duldet und als normale politische Kraft neben anderen ansieht, bereitet den Weg in die Barbarei und verhöhnt die Opfer des Hitlerfaschismus ebenso wie die der "neuen" Nazis. Die gegenwärtige Mitleidstour der NPD-Verbrecher erinnert mich an ein Gedicht Bertolt Brechts, das vor mittlerweile 53 Jahren geschrieben wurde: "Einem impotenten Hahne / Gleichend, stolzt ein Pangermane / Pochend auf das freie Wort. / Es heißt Mord." (aus: "Der anachronistische Zug, Oder: Freiheit und Democracy")

Zivilcourage zeigen! - Blockadeaktionen gegen die Nazi-Demo am 2.9. in Neumünster (Fotos: wop)

Ich halte nach wie vor daran fest, dass die Bestimmung des Artikels 139 Grundgesetz gilt und bei Nichtbeachtung jedem und jeder das Recht zum antifaschistischen Widerstand gibt, dass nämlich die NSDAP und jede beliebige Nachfolgeorganisation verboten sind. Für mich sind NDP, DVU usw. illegale Organisationen, und kein entgegengesetzter Richterspruch kann daran etwas ändern. Von daher fordere ich selbstverständlich heute wie vor 30 Jahren das Verbot und die vollständige Zerschlagung dieser Organisationen, rufe aber auch weiterhin dazu auf, sie bereits heute als verboten zu behandeln und ihnen jeden von ihnen beanspruchten Platz in der Gesellschaft streitig zu machen. Das heißt nicht nur, ihnen auf der Straße entgegenzutreten und von ihnen bedrohten Personen zur Seite zu stehen. Das heißt zum Beispiel auch Verweigerung überall da, wo sie ihre Propaganda produzieren lassen wollen, das heißt Widerstand gegen die Verbreitung rassistischen und faschistischen Gedankenguts in allen Medienanstalten einschließlich der Druckereien sowie in Zustellbetrieben.

Und wir alle sollten die Diskussion um die Ursachen der um sich greifenden faschistischen Gewalt in diesem Lande gemeinsam führen, um wirklich handlungsfähig zu werden.

Schließlich bitte ich alle, die dies lesen, natürlich um Unterstützung, falls die geschilderten Vorfälle ein juristisches oder anderes Nachspiel haben. Am meisten würde ich mich darüber freuen, wenn der in Kiel auf Initiative der IG-Metall-Vertrauensleute ins Leben gerufene Runde Tisch gegen Nazi-Umtriebe auf breiten Zuspruch und rege Beteiligung stieße.

(Dietrich Lohse)