Ratssplitter

Er ist lästig, keiner will ihn haben - der Müll. Weit gefehlt, denn mit dem Abfall lassen sich gute Geschäfte machen. Nach dem Streit um das Gutachten über den Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel (ABK), das eine Privatisierung des stadteigenen Unternehmens empfiehlt (LinX berichtete), ist nun ein weiterer Konflikt aufgebrochen. Anfang des Monats musste einer der Kessel der Müllverbrennungsanlage (MVA, teilprivatisiert, 49% gehören RWE) heruntergefahren werden. Grund: Er bringt nicht genug Leistung. Bis Ende September nimmt die MVA deshalb keinen Müll mehr an. Die bis dahin anfallenden 8.000-10.000 Tonnen sollen auf einer dem ABK gehörenden Deponie in Schönwohld zwischengelagert werden. Von der Stadt (Gebührenhaushalt) erhält die MVA 317,50 DM pro Tonne. Die Zwischenlagerung kostet ca. 80-100 DM pro Tonne. Bleiben 2 Mio. DM, wenn die MVA den Müll nach der Reparatur des Kessels wieder abholt. Der ABK jedoch will den Müll behalten und in der Deponie endlagern, um diese besser auszulasten - und dafür die Gebühren zu kassieren. Das käme gerade recht, wo der ABK durch das Gutachten unter Beschuss steht.

Nach einem Kompromissvorschlag sollen sich MVA und ABK die Gebühren teilen. Zündstoff für die Septemberratsversammlung bietet der Müll-Deal in jedem Fall. Die SUK hat bereits eine Anfrage gestellt, welche Folgen der Müllstreit für die Gebührenzahler haben werde. Die Grünen verlangten in einer Pressemitteilung, der Streit dürfe "nicht zu Lasten der Kieler BürgerInnen gehen". Der Streit gebe einen Vorgeschmack auf zukünftige Kämpfe um den Kieler Abfall, wenn auch der ABK möglicherweise teilprivatisiert sei. Mit Sorge sieht Fraktionschef Lutz Oschmann die "häufigen Probleme der MVA mit der mangelnden Leistungsfähigkeit der Kessel. Ich bin heilfroh, dass wir den geplanten dritten Kessel verhindert haben, so konnten drohende Überkapazitäten und Gebührensteigerungen verhindert werden." Für die Privatisierungsdiskussion um den ABK sieht SPD-Fraktionschef Cai-Uwe Lindner indes noch "keinen Zeitdruck". Die SPD-Fraktion will sich in einer Klausurtagung am 30.9. mit dem Thema befassen.

Während im Fond für die Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen immer noch Milliarden aus der deutschen Wirtschaft fehlen, geht es bei der Aufarbeitung der Geschichte der Zwangsarbeit in Kiel endlich voran. Im Januar hatte die Ratsversammlung die Einrichtung einer Forschungsstelle beschlossen (LinX berichtete). Immerhin: Schon Anfang September nahm sie ihre Arbeit auf. Der promovierte Historiker Jan Klußmann wurde im Rahmen einer ABM-Maßnahme dafür eingestellt. Die Forschungsstelle soll nicht nur Fakten sammeln und für eine Publikation und eine Ausstellung zusammentragen, sondern auch Auskünfte bei Entschädigungsanträgen erteilen. Dazu wird man mit dem Stadtarchiv, dem Landesarchiv in Schleswig, dem Institut für Zeit- und Regionalgeschichte (ebenfalls Schleswig) sowie dem internationalen Suchdienst in Bad Arolsen und dem Bundesarchiv zusammenarbeiten. Nach ersten Recherchen in über 100 Lagerbüchern, die im Archiv der Meldebehörde noch vorhanden sind, gab es in Kiel etwa 112 Lager mit weit über 36.000 ZwangsarbeiterInnen. So gründlich die Deutschen sonst sind, die Aktenlage über Zwangsarbeit ist lückenhaft (vielleicht gerade, weil sie so gründlich sind). Stadtpräsidentin Cathy Kietzer (SPD) appellierte daher an die Bevölkerung, Zeitzeugen und Kieler Unternehmen, der Forschungsstelle Informationen zukommen zu lassen.

(jm)