Betrieb & Gewerkschaft

"Wir sind die Fußabtreter"

Neue Angriffe auf den Ladenschluss - und die Gegenwehr

Während die Wirtschaftsminister der Länder inzwischen fordern, das Ladenschlussgesetz (LadSchlG) weiter zu deregulieren (vgl. Kasten), und die Fronten für und gegen längere Öffnungszeiten quer durch alle Parteien laufen, wird das Gesetz zunehmend durch die Schaffung von Fakten aufgeweicht. Für den Schleswig-Holstein-Tag am vergangenen Wochenende beantragte Kiels OB Norbert Gansel bereits im April beim Landesministerium für Soziales, Arbeit und Gesundheit eine Sondergenehmigung zur Öffnung am 23. und 24.9., am Samstag bis 20 Uhr, Sonntag bis 18 Uhr, nach § 23 LadSchlG. Dieser Paragraph ermöglicht eine Öffnung auch an Sonn- und Feiertagen, wenn ein besonderes Versorgungsinteresse der Bevölkerung besteht, und ist eigentlich für Notsituationen gedacht. Die Praxis ist inzwischen allerdings, das zeigen Beispiele u.a. aus Mecklenburg-Vorpommern, dass der Paragraph zur angeblich den Umsatz und die Attraktivität von Innenstädten steigernden Öffnung an Sonn- und Feiertagen missbraucht wird. Die Ausnahme wird zur Regel, das Ladenschlussgesetz soll so weiter ausgehöhlt werden, um in letzter Konsequenz auch in anderen Arbeitsbereichen Flexibilisierung und Deregulierung durchzusetzen - im Interesse des Kapitals und gegen die der ArbeitnehmerInnen, versteht sich.

Gegen die Sondergenehmigung zum Schleswig-Holstein-Tag klagten zwei Kieler Buchhändlerinnen aus dem Sophienhof und erhielten zunächst Recht, indem das Verwaltungsgericht (VG) ihrer Klage in Bezug auf die Sonderöffnungsgenehmigung am 21.9. aufschiebende Wirkung beschied, also eine zusätzliche Ladenöffnung am 23. und 24.9. verbot. Dagegen legte das Sozialministerium noch am Abend des 21.9. beim Schleswiger Oberverwaltungsgericht (OVG) Beschwerde ein, der das OVG am 22.9. stattgab. Die Läden konnten also am Schleswig-Holstein-Tag öffnen.

Das Center-Management des Sophienhofs hatte nach dem Spruch des VG angekündigt, der Sophienhof werde dennoch geöffnet. Die Verfügung betreffe nur die beiden Klägerinnen und das Geschäft, in dem sie arbeiten, und sei für den gesamten Sophienhof nicht bindend. Ein offener Aufruf zum Rechtsbruch, gekleidet in eine zweifelhafte juristische Argumentation.

Die Gewerkschaften DAG und hbv, die die Klägerinnen im Rechtsstreit unterstützten, wenn auch bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit nicht in dem Maße, wie diese sich das gewünscht hätten, werten den Erfolg vorm VG dennoch als wichtigen Schritt im Kampf um die Erhaltung des Ladenschlussgesetzes, zumal das OVG auch noch nicht in der Sache entschieden hat, sondern nur die aufschiebende Wirkung der Klage einstweilen aufhob.

LinX sprach mit einer der beiden Klägerinnen, die ihren Namen nicht nennen möchte, weil sie inzwischen Anfeindungen sogar von Kunden ausgesetzt ist und um ihren Arbeitsplatz fürchtet, über den Rechtsstreit und die Auswirkungen immer längerer Ladenöffnungen auf ihr Leben.

(jm)

LinX: Was hat euch zur Klage gegen die Sondergenehmigung des Sozialministeriums bewogen?

Klägerin (K.): Die VerkäuferInnen im Einzelhandel werden zum Fußabtreter in der Gesellschaft. Wenn man seine Arbeitnehmerrechte vertritt, wird man angepöbelt. Die Leute wollen zu jeder Zeit einkaufen, das aber auch noch preisgünstig und mit guter Beratung. Auch um 22 Uhr soll noch eine nette Verkäuferin vor ihnen stehen. Shopping wird zum Lebensgefühl und zur Freizeitgestaltung. Dabei werden schon jetzt in kaum einem anderen Bereich von den Arbeitnehmern so flexible Arbeitszeiten wie im Einzelhandel gefordert. Die Leute sehen nicht, dass eine weitere Deregulierung, die im Einzelhandel anfängt, um sich greifen wird, bis es irgendwann überhaupt keine geschützten Ruhezeiten und Feiertage mehr gibt.

Das wird weitreichende Folgen haben. Andere Versorgungsbereiche wie etwa Kinderbetreuung müssen dann nachziehen. Das gesamte soziale Leben wird sich umkrempeln müssen, beziehungsweise soziale Gefüge werden zerstört. Dagegen muss man sich wehren. Und wir Einzelhändlerinnen stehen da z.Z. sozusagen an forderster Front.

LinX: Eure Klage hat also Mustercharakter?

K.: Ja, auch wenn es hier "nur" um eine Sondergenehmigung geht. Interessant ist nämlich, dass zusätzliche Ladenöffnungszeiten gewöhnlich durch eine Rechtsverordnung der Stadt festgelegt werden - nach § 14 und 16 LadSchlG. Die hat die Stadt Kiel im März aber nur für die vier Adventssamstage und das Verbindungsfest im November verfügt. Dass der OB für den Schleswig-Holstein-Tag den Weg des § 23 wählt, also einen Notstand konstruiert, spricht dafür, dass er die zusätzliche Öffnung auf dem "normalen" Weg der Rechtsverordnung nicht durch bekommen hätte. Man muss sich mal die Daten ansehen. Die Rechtsverordnung ist vom 23.3.. Am 7.4. geht Gansel dann los und holt sich beim Sozialministerium die Sondergenehmigung. Denn nach § 14 und 16 hätte man, um am Schleswig-Holstein-Tag bis 18 Uhr zu öffnen, am Samstag davor nur bis 14 Uhr öffnen dürfen.

Hinzu kommt, dass in einer Mitteilung des Sophienhof-Managements stand, dass man sich vorbehalte, am Samstag (23.9.) bis 20 Uhr zu öffnen, falls die Öffnung am Sonntag nicht genehmigt werde. Aber sogar für die Öffnung am Samstag bis 20 Uhr gibt es keine Rechtsverordnung. Denen war also durchaus klar, dass das Ganze rechtlich auf wackligen Beinen steht.

Da wird jenseits der Öffentlichkeit herumgemacht, denn während die Rechtsverordnung veröffentlicht werden muss, ist das bei der Sondergenehmigung nicht so. Man erfährt also erst viel zu spät davon und kann sich kaum noch wehren. Unsere Klage sollte auch öffentlich machen, mit welchen Methoden die Stadt versucht, das Ladenschlussgesetz zu umgehen.

LinX: Vor dem Verwaltungsgericht habt ihr Recht bekommen. Wie hat das VG das begründet?

K.: Die Kammer hat uns in zwei Punkten Recht gegeben. 1. wurde festgestellt, dass unsere Klage berechtigt ist. Das hatte das Sozialministerium angezweifelt, und zwar vom Ton her in einer ziemlich rüden Art, die zeigt, wie emotional aufgeladen das Thema ist. Zitat: "Die Klägerin verkennt hier in eklatanter Weise das Wesen und die Zielrichtung des Ladenschlussgesetzes", weil "die arbeitsschutzrechtliche Zielsetzung im LadSchlG (...) ausschließlich den öffentlich sozialpolitischen Interessen dient und nicht die Rechte einzelner Arbeitnehmer schützt. (...) (Es) schränkt vielmehr auch Rechte von Arbeitnehmern dadurch ein, dass (sie) daran gehindert werden, während der Ladenschlusszeiten zu arbeiten, auch wenn sie es gerne wollen." Das ist echt der Hohn! Das VG hingegen meint, dass das LadSchlG "das Verkaufspersonal insbesondere vor überlangen Arbeitszeiten schützen und ihm u.a. ein weitgehend zusammenhängendes Wochenende gewährleisten" soll.

2. hat das VG die Sondergenehmigung des Sozialministeriums als rechtswidrig eingestuft. Eine Begründung für ein besonderes Versorgungsinteresse der Bürger sei vom Sozialministerium weder "substanziell geltend gemacht worden", noch überhaupt ersichtlich. Zudem sei der Sonntag als Ruhetag verfassungsrechtlich geschützt, insofern sei der § 23 LadSchlG "restriktiv auszulegen", komme also nur bei wirklich "notstandsähnlichem Mangel an Waren" zum Tragen, was beim Schleswig-Holstein-Tag nicht gegeben sei. Diese Argumentation ist auch politisch sehr wichtig, weil das VG damit diese Dimension des Rechtsstreits erkannt hat.

LinX: Dennoch hat das OVG die aufschiebende Wirkung eurer Klage dann am 22.9. wieder aufgehoben. Wie wurde das begründet?

K.: Das OVG hatte nicht in der Sache zu entscheiden. Es musste nur abwägen, welche Interessen schwerer wiegen. Dabei ist es voll auf die Argumentation eingestiegen, es gehe nur um unsere Interessen als Arbeitnehmerinnen gegenüber unserem Arbeitgeber. Von der aufschiebenden Wirkung, die uns das VG zubilligte, seien nur wir und unser Arbeitgeber betroffen, nicht aber der Sophienhof als Ganzes. In der Abwägung hat es dann entschieden, dass der verlorene Gewinn, wenn der Laden nicht öffnen kann, weil wir nicht arbeiten, schwerer wiegt als die Beschneidung unseres Interesses, am Sonntag nicht arbeiten zu müssen. Wobei natürlich fraglich ist, ob der Laden am Sonntag wirklich einen Gewinn abwirft, wenn man die Kosten etwa für die Überstunden gegenrechnet.

LinX: Und wie geht es jetzt weiter?

K.: Wie gesagt, das OVG hat nicht in der Sache entschieden. Es ging nur um die aufschiebende Wirkung. Voraussichtlich wird unsere Klage jetzt in eine so genannte Fortsetzungsfeststellungsklage umgewandelt. Bei deren Verhandlung könnte durchaus herauskommen, dass die Öffnung am Schleswig-Holstein-Tag rechtswidrig war. Das wäre ein wichtiges Ergebnis, auch im Nachhinein, damit sich diese Praxis der Aushebelung des Ladenschlussgesetzes über Sondergenehmigungen nicht fortsetzt.

Aber so ein Kampf ist auch ziemlich anstrengend. Da kam z.B. ein Kunde in den Laden und meinte: "Ihr macht also Sonntag nicht auf, das spricht sich in Kiel schnell herum, und dann kauft niemand mehr bei euch." Von sowas sind dann auch die anderen Kollegen betroffen, die nicht geklagt haben. Eine emotional sehr aufgeladene Stimmung, geschürt auch von den Medien, der Ladenschluss sei veraltet, der müsse endlich weg. Als Verkäuferin, die sich dagegen wehrt, gilt man dann plötzlich als ewig gestrig.

Es gibt jetzt in der Bevölkerung so eine Stimmung, dass das Ladenschlussgesetz ein reiner Bürokratismus sei. Kaum noch jemand sieht, dass es eigentlich dazu gedacht ist, uns zu schützen vor einer Flexibilisierung, die überhaupt keine Grenzen mehr kennt. Wenn so mit einem Gesetz umgegangen wird, wie das diese Sondergenehmigungsgeschichte zeigt, beschädigt das auch das allgemeine Rechtsverständnis. Da ist dann ein Gesetz, mit dem man es nicht so genau nehmen muss, für das es fast nur noch Ausnahmen gibt. Und das wird dann auch auf andere Gesetze übertragen, die man nicht will. Die werden einfach durch Nichtbeachtung beseitigt. Das ist wirklich schlimm. Das macht einen wütend.

LinX: Wie wirken sich die immer längeren Arbeitszeiten bis in die Abendstunden für dich persönlich aus?

K.: Das Problem ist die Lebensplanung. Die Arbeitszeiten wechseln ständig. Es ist schwierig, z.B. spontan ein langes Wochenende zu planen, oder auch nur einen Theater- oder Kinobesuch. Zwar werden etwa drei Monate im Voraus die Arbeitszeiten eingeteilt. Aber wenn jemand krank wird, muss man einspringen. Und wenn du selbst krank wirst, hast du ein schlechtes Gewissen gegenüber den KollegInnen, dass jetzt deren Planung über den Haufen geworfen wird.

Viel schwieriger ist auch die Kommunikation im Betrieb geworden. Manche Mitarbeiter, gerade Aushilfen, sieht man nur kurz zur "Übergabe". Da sind Missverständnisse vorprogrammiert, das wirkt sich negativ aufs Betriebsklima aus, weil nie alle beisammen sind. Sagt z.B. der Chef mir als Abteilungsleiterin: "Sag' das mal bitte allen." Da ist man dann eine Woche dabei, bis es wirklich bei jedem angekommen ist. Es gibt Aushilfen, die arbeiten im selben Betrieb, aber kennen sich gar nicht, oder nur flüchtig.

Und: Mit den längeren Öffnungszeiten sind natürlich nicht neue Leute eingestellt worden. In einigen Betrieben wurde sogar Personal reduziert. Das heißt, mit weniger Leuten muss man längere Zeiten bewältigen. Das wirkt sich dann so aus: Wenn man zu dritt im Laden steht und einer krank ist, ist man nur noch zu zweit. Da kann dann noch nicht mal eine der beiden auf Toilette gehen, weil: alleine im Laden - das geht einfach nicht.

LinX: Gibt es im Sophienhof zwischen VerkäuferInnen verschiedener Geschäfte einen Austausch über solche Probleme, aus dem sich vielleicht gemeinsames Handeln entwickeln ließe?

K.: Nein, praktisch nicht. Wann sollte man sich auch treffen, um so etwas zu besprechen? Nachts vielleicht? Oder Sonntags? (Lacht) Aber das geht ja nun auch nicht mehr.

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