Kommentar

Kein Nebenkriegsschauplatz!

Bitte nicht schon wieder dieses Langweiler-Thema, wird vielleicht manche Leserin (oder Leser) stöhnen, wenn sie hier einen derart langen Artikel zum Ladenschluss vorgesetzt bekommt. In der Tat: Das Thema Ladenschluss scheint abgefrühstückt, weil sich eh kaum noch jemand an das Gesetz hält. Nach zahllosen Ausweitungen der Öffnungszeiten und Ausnahmen, die zur Regel geworden sind, fragt sich manche vielleicht mit Recht: Wozu ein Gesetz? Regelt sich doch von selbst.

Doch eine solche Einschätzung ist nicht zuletzt Folge eines Jahre langen Bombardements mit der Ideologie, dass das Ladenschlussgesetz ein bürokratischer Saurier sei, den es nur noch im ewig gestrigen Deutschland gebe, Ausdruck von Regulierungswut des typisch deutschen Amtsschimmels. Pastoren, die von der Kanzel an den heiligen Sonntag mahnen, wirken im Zeitalter totaler Säkularisierung und Individualisierung, wo Gemeinschaft per se schon oft als Einschränkung des je eigenen Glücksschmiedens begriffen wird, auch nicht sonderlich überzeugend.

Dass die neoliberale SPD (wie etwa die Kieler SPD-Ratsfraktion) die Initiative der Landes-Wirtschaftsminister zur Lockerung des Ladenschlusses begrüßt, verwundert nicht. Aber die Ideologie von der Deregulierung und Flexibilisierung greift durch bis in die Linke. Beim Einreißen des Ladenschlusses macht in Mecklenburg-Vorpommern sogar die PDS mit, wenigstens macht sie nichts dagegen. Manche argumentieren gar, dass es doch nützlich sei, für Weniger-Verdienende sogar geradezu sozial, wenn man um 22 Uhr noch bei ALDI kaufen kann und nicht zur teuren Tanke muss. Selbst die Gewerkschaften nehmen sich des Themas nur zögerlich wieder an. Wenn, wie am Rande der Recherche zum Artikel in dieser LinX erkennbar wurde, 1.200 Unterschriften gegen die Ausweitung der Öffnungszeiten in der Schublade irgendeines Gewerkschaftsbüros versauern, spricht das nicht für sonderlichen Elan.

Dabei könnte man - gerade in der Linken - das Thema zum Exempel statuieren. Die Auswirkungen der Deregulierung von Arbeitszeiten auf das soziale Leben, auf die persönliche Lebensgestaltung, bekommen ArbeitnehmerInnen im Einzelhandel am deutlichsten zu spüren. Was sie schon erleben, droht demnächst uns allen. Die Crux dabei: Weil wir auch schon bis in die Puppen arbeiten müssen, finden wir es irgendwie nett, wenn wir auch noch nach den Puppen einkaufen können. So erklärt sich vielleicht der lahme Widerstand gegen die Deregulierung im Einzelhandel.

Aber was doch klar sein müsste: Wer das gut findet, lässt den Schwanz mit dem Hund wedeln - und kommt dabei selber auf den letzteren. Einen breiten linken Widerstand gegen die Aufweichung des Ladenschlusses zu organisieren, ist also kein Kampf auf einem Nebenkriegsschauplatz, sondern könnte das System der Deregulierer, das zeigen deren genervte Reaktionen auf auch nur Ansätze von Widerstand, ins Mark treffen. Die Kolleginnen, die in dem einen Kieler Musterfall klagten - und jetzt Diffamierungen ausgesetzt sind - verdienen unsere Solidarität und unser Engagement. Denn sie haben eine Steilvorlage geliefert, jetzt den Kampf gegen den neoliberalen Zeitgeist noch einmal aufzunehmen.

(jm)