Antifaschismus

Kein Vergeben! Kein Vergessen!

Vor 62 Jahren läutete die Reichspogromnacht in Deutschland eine neue Phase der nazistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegenüber dem Judentum ein. Schon bis dahin waren sie mit einer Vielzahl staatlicher Maßnahmen zunehmend aus dem öffentlichen Leben gedrängt, ihres Hab und Guts beraubt und vielfältigen Gewaltmaßnahmen ausgesetzt worden. So war es Ende Oktober 1938 zur Ausweisung und Vertreibung von mehreren tausend Juden über die östliche Grenze gekommen, die tagelang an der deutsch-polnischen Grenze umherirrten, weil Polen die Aufnahme dieser Menschen verweigerte. Darunter war auch die Familie Grünspan, deren Sohn Hermann am 7. November in Paris ein Attentat auf den deutschen Legationssekretär Rath verübt, an dem dieser am 9. November stirbt. Daraufhin setzt in Deutschland eine organisierte Gewaltwelle ein, die an etlichen Orten auf spontane Teilnahme der Bevölkerung traf. 91 Juden wurden ermordet, 267 Synagogen in Brand gesetzt oder beschädigt, mehr als 7.000 in jüdischem Besitz befindliche Geschäfte zerstört, fast alle jüdischen Friedhöfe geschändet und etwa 30.000 Juden und Jüdinnen in KZs verschleppt. Nach der Reichspogromnacht wurden weitere Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen beschlossen und umgesetzt, so die endgültige Beseitigung der Juden aus dem Wirtschaftsleben. Am 30. Januar 1939 verkündete Hitler in seiner Reichstagsrede schließlich den Willen zur "Vernichtung der jüdischen Rasse". Auschwitz, Treblinka und Sobibor - diese und viele andere Orte gelten weltweit noch heute als Symbole für diese Vernichtungspolitik.

Wer glaubt, Antisemitismus in Deutschland sei ein Gespenst der Vergangenheit, das nur noch in ewiggestrigen Neonazikreisen vorhanden ist, irrt. Die antisemitischen Anschläge auf jüdische Friedhöfe, die Hetze gegen führende Vertreter des deutschen Judentums wie Ignatz Bubis und Heinz Galinski und der noch immer nicht aufgeklärte Sprengstoffanschlag auf das Grab des Letztgenannten sind nur die Spitze des Eisbergs. Als der jetzige Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, im Wahlkampf mitteilte, er wolle das Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden, Michel Friedman (CDU), als zukünftiges Regierungsmitglied benennen, wurde er bei den Wahlkampfveranstaltungen häufig mit Äußerungen wie "Was willst du mit dem Juden?" angegriffen. Müllers Erkenntnis: "Ich hätte nicht gedacht, dass der Antisemitismus so offen artikuliert wird".

Bereits Ende 1998 veröffentlichte die Zeitung Die Woche eine Umfrage, derzufolge rund 20% aller Befragten BundesbürgerInnen "unterschwellig antisemitisch" eingestellt seien. 63% der Befragten wollten einen Schlussstrich unter die Diskussion um die Judenverfolgung in der Nazi-Zeit ziehen. Diese Stimmung wird von beträchtlichen Teilen der politischen Klasse geschürt. So drohte der Schriftsteller Martin Walser in seiner inzwischen berüchtigten Rede mit Blick auf die Aufarbeitung und Erinnerung an den Holocaust und den Nazismus: "Je mehr Leitung und Vorschrift da spürbar wird, um so negativer kann die Reaktion sein". Für diese "mutigen Worte" erhielt er kürzlich einen Preis der Stadt Halle.

Und der Herausgeber des SPIEGEL, Rudolf Augstein, beteiligte sich an der Diskussion um das Berliner Mahnmal zur Ermordung der europäischen Juden mit der Bemerkung: "Man kann uns nicht von außen diktieren, wie wir unsere neue Hauptstadt in Erinnerung an die Vergangenheit gestalten" und äußerte eine These, "dass dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist". Zwei Stimmen aus einem breiten Chor, die sich des Themas Holocaust entledigen wollen, um als "normale Nation" in Zukunft ungestört - auch militärisch - imperialistische Großmachtpolitik betreiben zu können.

Rassistische Ausgrenzung durch die Mitte der Gesellschaft

Noch immer werden einem beträchtlichen Anteil der hier lebenden Menschen - den sogenannten "Ausländern" - grundlegende Rechte vorenthalten. Täglich werden sie in der Schule, auf den Ämtern und auf der Straße diskriminiert. Rassismus steckt in den Institutionen, den Gesetzeswerken, in Lehrplänen und Erziehungssystemen. Seit Anfang der 80er Jahre ist es erklärtes Ziel der Regierung, den Anteil der türkischen Wohnbevölkerung zu verringern. Das staatliche Angebot von Rückkehrprämien wird seit Mitte der 80er Jahre begleitet vom Mord und Totschlag der Neonazis.

Mit dem Zusammenbruch der DDR bekamen Nationalismus und Rassismus neuen Auftrieb. Jahrelang hat insbesondere die CDU/CSU den Leuten eingehämmert, dass 95 Prozent aller Flüchtlinge Wirtschaftsflüchtlinge und eine Gefährdung für dieses Land seien; der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe verschickte Musterpresseerklärungen ebensolchen Inhalts. Schließlich beteiligte sich auch die SPD an der Debatte um und gegen das Recht auf Asyl. Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock fanden unter den Augen der Polizei und mit Beifall und Unterstützung erheblicher Teile der deutschen Bevölkerung statt. Brandreden wurden so zu Brandsätzen. Die Änderung des Grundgesetzartikels 16, die de facto einer Abschaffung des Rechts auf politisches Asyl gleichkommt, wurde so nachträglich zu einer Legitimation des rassistischen Terrors. Frei nach dem Motto: je lauter die Rufe nach Ausgrenzung und je häufiger die rassistische Gewalt gegen Flüchtlinge und EinwanderInnen, um so eher wird die politische Klasse tätig werden.

Nach der Beseitigung des Asylrechts ist die Entrechtung der Flüchtlinge fortgesetzt worden - in großer Übereinstimmung zwischen CDU/CSU und SPD. So zielt beispielsweise das Asylbewerberleistungsgesetz darauf, Flüchtlingen den Aufenthalt in diesem Land so unangenehm und abschreckend wie möglich zu machen. An den Grenzen des Landes wird mit großem Aufwand Jagd auf Menschen gemacht, die vor Krieg, Verfolgung und Elend in diesem reichen Land Schutz und Hilfe suchen. Diese Politik der Festung Europa und der inhumanen Behandlung von Flüchtlingen ist Politik, die nicht von der NPD oder den anderen faschistischen Parteien gemacht wird; es ist die Politik, die - in weitgehender Übereinstimmung - von CDU/CSU bis SPD und beträchtlichen Teilen der GRÜNEN politisch mitgetragen wird und zu verantworten ist.

Zuletzt mit der völkisch-nationalistischen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, der "Kinder statt Inder"-Parole und dem Gerede von der "deutschen Leitkultur" hat die CDU/CSU rassistische Einstellungen in diesem Land bestärkt. Und so zahlreich in diesen Tagen die Aussagen der politischen Klasse gegen neonazistische Aktivitäten sind, so häufig finden sich zugleich ausgrenzende, diffamierende und an rassistische Ressentiments appellierende Äußerungen. Ob die Green-Card-Regelung der Bundesregierung, ob die Äußerung des bayerischen Innenministers Beckstein ("Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen") oder die Forderung des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), Hans Peter Stihl, den "unkontrollierten Strom von Wirtschaftsasylanten" zu stoppen - all dies ist motiviert von dem Kriterium der "Nützlichkeit" für den Standort Deutschland. Dieser habe sich den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen. Wenn dann Außenminister Fischer meint, die "braunen Horden" würden zum "Standortproblem" des global operierenden deutschen Kapitalismus werden, gilt nicht der wehrlose "Ausländer", sondern der Staat selbst als wahres Opfer rechter Schläger. In diesem Kapitalismus, heißt es, sollen sich nur die Besten durchsetzen. Doch Parolen für die Leistungsgesellschaft und die Förderung des Konkurrenz- und Elitedenkens fördern weder Toleranz noch Menschlichkeit. Im Gegenteil, sie befördern Denken und Handeln entsprechend der Vorstellung vom "Recht des Stärkeren" - und das trifft zunächst vor allem die, die gesellschaftlich und gesetzlich ausgegrenzt und so zu Menschen zweiter Klasse degradiert worden sind.

Gegen Antisemitismus, Rassismus und rechten Terror

Die gesellschaftlich und institutionell getragene diskriminierende Behandlung von "Ausländern" in Deutschland muss ebenso aufhören wie das isolierte Wegstecken von Flüchtlingen in Hochsicherheitszonen am Rande der kleinen Städte, ihre stigmatisierende Ausstattung mit Chipkarten und die rücksichtslose Abschiebepraxis.

Vor allem diejenigen PolitikerInnen, die über zehn Jahre die Neofaschisten weitgehend gewähren liessen, bemühen nun das Ritual des Rufs nach schärferen Gesetzen und fordern die Einschränkung von Grundrechten wie dem der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Dagegen erfuhren antifaschistische Initiativen stets die Härte der jetzt beschworenen Staatsmacht, und Engagement gegen rechts wurde auf Landes- und Kommunalebene viel zu oft als "Nestbeschmutzung" geächtet. Die Polizei, auf die man nun zumeist setzt, ist mit ihren diskriminierenden Praktiken häufig eher Teil des Problems; das Wegschauen beim Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und die Teilnahme von Ordnungshütern an der ganztägigen Hetzjagd am "Vatertag" 1994 in Magdeburg sind nur die Spitzen einer nach wie vor ausgeprägten Bereitschaft, neofaschistische Straftaten hinzunehmen, bei manchen gar stille Sympathie mit "unseren Jungs". Das muss ein Ende haben. Jene Toleranz ist ein Freibrief für die extreme Rechte, sich der Menschen und sozialer Räume zu bemächtigen. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

BLEIBERECHT FÜR ALLE FLÜCHTLINGE!

Avanti - Projekt Undogmatische Linke, bewegung! - Gruppe gegen Stillstand im Normalzustand, KAGON - Autonome Gruppe Kiel, Roter Stachel Elmshorn, Vorbereitungstreffen Unabhängiger AntifaschistInnen Kiel

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