Antimilitarismus

Debatte um Munition mit abgereichertem Uran überrascht nur die Verantwortlichen

Gesundheitsgefahren waren längst bekannt

Italienische und portugiesische Politiker fordern den vollständigen Rückzug ihrer Friedenstruppen vom Balkan. Auch Spanien, Türkei und Finnland starten Reihenuntersuchungen unter ihren Balkan-Veteranen. Plötzlich reden alle über DU-Munition, Geschosse aus abgereichertem Uran. Zuletzt Großbritannien, Deutschland, die Schweiz und Australien haben ihren Veteranen und Friedenssoldaten Uran-Spätfolgenuntersuchungen angeboten. Bis jetzt sind 6 italienische SFOR-Friedenssoldaten, die in Bosnien Dienst taten, an Leukämie gestorben, 30 weitere Erkrankte stehen unter Beobachtung. 4 französische Logistik-Soldaten, ein tschechischer Hubschrauber-Pilot, 5 Belgier, ein Portugiese, ein Däne, 27 Briten verstarben, weitere erkrankten an Krebsarten nach ihrem Balkan-Einsatz. Auch gäbe es unter den Veteranen vermehrt Beschwerden über unerklärliche Schmerzen und Schlaflosigkeit, meldete Belgiens Verteidigungsminister Flahaut. Keine auffällige Häufung wurde bis jetzt aus Spanien, Griechenland, Finnland, Deutschland und den USA gemeldet. Allerdings waren die US-Soldaten auch überwiegend in einem mazedonischen Stützpunkt untergebracht, der einfach nicht zum beschossenen Areal gehörte, und auch die Spanier hatten bei ihrem "peacekeeping"-Einsatz eingestandenermaßen mehr geographisches Glück als die Italiener.

Nun, nachdem die Munition ihren Zweck erfüllt hat, fordert EU-Kommissionspräsident Romani Prodi die sofortige Abschaffung der DU-Geschosse, und Bundeskanzler Schröder schließt sich gleich an, die Grünen wollen Munitionsteile in Jugoslawien sogar "bergen". Besonders besorgt ist man darüber, dass das Risiko jeden im ehemaligen Kriegsgebiet betreffen könne, nicht nur Soldaten und Einheimische, auch Helfer und Journalisten.

Italiens Premier Giuliano Amato findet die Alarmstimmung über das sog. Balkan-Syndrom "mehr als legitim". Es sei nur bekannt gewesen, daß DU-Munition in absoluten Ausnahmesituationen gefährlich sei, z.B. wenn man ein Bruchstück mit einer verwundeten Hand aufnehme und Staub in die Blutbahn eindringen könne. Aber es sei wohl doch nicht so simpel. Verteidigungsminister Mattarella behauptete, erst im Dezember 2000 durch offizielles Schreiben auf die Verwendung von DU-Munition durch US-Streitkräfte hingewiesen worden zu sein. Vorher hatte er es allerdings auch nicht wissen wollen. Z.B. hätte er nur mal die LinX 22/99 lesen brauchen. Italiens Grüne und Kommunisten hatten jahrelang vor dem Einsatz der panzerbrechenden DU-Munition gewarnt und waren überhaupt gegen das Bombardement gewesen.

Schon wieder ein "Syndrom"?

In Wahrheit ist das Problem aber nicht neu, auch nicht erst seit dem Bosnienkrieg aufgetaucht, und es fehlte auch nicht an Warnungen und Hinweisen. Bereits im Golfkrieg gegen den Irak 1991 hat das Pentagon Waffen mit DU-Munition eingesetzt. Wesentlicher Unterschied war, daß hier hauptsächlich Artilleriegranaten verschossen wurden, nämlich etwa 940.000 30-mm-Granaten und über 14.000 Salven großkalibrige Munition während der Desert-Storm-Operation. Ihr Gesamtgewicht wird auf 300 bis 800 to geschätzt. Die liegen im irakischen bzw. kuwaitischen Boden. Es ist offensichtlich, daß die amerikanischen und britischen Soldaten hier viel häufiger und näher mit der Munition und auch beschossenen Zielen in Berührung kamen als bei den Flugzeugbombardements im Kosovo.

Foto: Hazir Reka - REUTERS)

Albanischer Junge neben zerstörtem jugoslawischem Panzer, mit depleted Uranium getroffen

Von 697.000 Golfkriegssoldaten meldeten später 130.000 Gesundheitsprobleme wie Lungen-, Leber- und Nierenleiden, Gedächtnisverlust, Kopfschmerz, Fieber, Ermattung und Geburtsfehler ihrer Nachkommen, die unter dem Namen "Golfkriegssyndrom" bekannt wurden. Von den britischen Soldaten sind schätzungsweise 400 an den Folgen des "Golfkriegssyndroms" gestorben, nach einer kanadischen Untersuchung dürften bis zu 35 000 Iraker hinzukommen. Viele sehen die Ursache in der Verwendung der DU-Munition, auch führende Mediziner. Sie meinen, daß Partikel inhaliert werden und, wenn sie zu groß sind, um absorbiert zu werden, in der Lunge verbleiben und dort Krebs auslösen können, sonst aber ins Blut und zu den Knochen vordringen und dort Leukämie und Knochenkrebs verursachen. Auf eine irakische Studie, die ein Ansteigen der Krebszahlen nach dem Golfkrieg um das 5-fache und einen Anstieg der Fehlgeburten und der Genanomalien um das 3-fache belegt, wurde in der LinX 22/99 schon eingegangen. Allerdings wird in der Studie auch auf die Zerstörung der Wasserversorgung und der Ölraffinerien hingewiesen, die ebenfalls zur Verbreitung von toxischen Chemikalien geführt habe. Nato-freundliche Wissenschaftler führen das Phänomen gar auf die massenhafte Impfung mit Anti-C-Waffen-Präparaten zurück.

Das glaubte das britische Verteidigungsministerium offenbar schon 1991 nicht. Der Sunday Herald verweist in seiner Ausgabe vom 07.01.2001 auf ein ihm vorliegendes Geheimdokument des Verteidigungsministeriums in London mit Datum vom 25. Februar 1991 - vier Tage vor Ende des Golfkrieges - in dem vorgeschrieben wird, ABC- Schutzanzüge mit unabhängiger Luftzufuhr zu tragen, wenn Soldaten in die Nähe von verschossener DU-Munition kommen. In dem heißt es, daß die Einatmung auch nur von kleinsten Partikeln ein Gesundheitsrisiko darstelle, das mit dem von Bleioxid vergleichbar sei. Auch DU-Staub auf Lebensmitteln würde den Tatbestand einer Verseuchung erfüllen. Zu einem ähnlichen Schluß kommt ein internes Papier der britischen Streitkräfte vom März 1997, das von BBC letzte Woche veröffentlicht wurde. Das Ministerium versucht nun, diese Studie zu entwerten, mit der Behauptung, es handele sich um die dilettantische Arbeit eines Praktikanten.

Auch die Australier wußten offenbar schon lange von den Gefahren der DU-Munition. Sie hatten ihre eigenen DU-Reserven schon vor über 10 Jahren im Meer versenkt, wegen der Gesundheitsrisiken, wie Generalleutnant Mueller mitteilte.

Internationale Mission findet DU-Splitter

Trotz der offiziellen und penetrant wiederholten Leugnung der Existenz eines "Balkan-Syndroms", und jeder Ähnlichkeit zu einem nicht mehr zu leugnenden "Golfkriegssyndrom" wurde doch schon im November 2000 eine internationale Untersuchungskommission unter Leitung des ehemaligen deutschen Umweltministers Töpfer ins ehemalige Jugoslawien entsandt, um nach Spuren von Uranmunition zu suchen und die Folgen für die Umwelt abzuschätzen. Nach vielen Monaten der Verweigerung gaben Nato-Militärs nun doch die Koordinaten von 112 Zielgebieten (von DU-Geschossen) preis, von denen die (von der Schweiz bezahlten) 14 Spezialisten 11 aufsuchten, 5 im italienischen und 6 im deutschen Sektor. Die Untersuchung wurde erheblich behindert durch die flächendeckende Verseuchung mit Landminen. Daher, so Töpfer, seien die Ergebnisse mit Einschränkungen zu genießen. 3 Gebiete waren ohne Anzeichen "höherer Radioaktivität", 8 Zonen wiesen leicht erhöhte Beta-Strahlung auf, besonders um die Krater und Löcher von DU-Treffern. Hier wurden auch 14 DU-Partikel lokalisiert anhand der erhöhten Beta- und Gammastrahlung in ihrer Nähe, wohl Querschläger, da die Munition bei Treffern ja verbrennt. In der weiteren Umgebung konnten keine erhöhten Strahlungswerte gemessen werden. Desweiteren wurden Wasserproben von Flüssen, Bodenproben, Vegetationsproben und an 3 Stellen auch Kuhmilch gesammelt, die jetzt in verschiedenen europäischen Labors analysiert werden. Das Ergebnis soll Ende Februar oder Anfang März veröffentlich werden.

DU-Munition auch in Deutschland?

Die "Leipziger Volkszeitung" berichtet, die Bundeswehr habe bereits vor 15 Jahren die Risiken der Anwendung der sogenannten DU-Munition auf Schießplätzen geprüft. Wahrscheinlich hätten auch amerikanische Streitkräfte auf deutschen Truppenübungsplätzen solche Munition mit Abrams-Kampfpanzern verschossen, da sie damit ausgerüstet seien. Die US-Armee gab inzwischen zu, auf dem Truppenübungsplatz im oberpfälzischen Grafenwöhr 1987 irrtümlich derartige Munition verwendet zu haben. Ein Jahr später sei ein mit uranhaltiger Munition beladener Panzer dort ausgebrannt.

Die Deutsche Marine nimmt seit 1969 im Rahmen der Ausbildungsunterstützung durch die US-Navy regelmässig an Landzielschießübungen auf der Schießbahn der Karibik-Insel Vieques, die zu Puerto Rico gehört, teil. Die Navy hat 1999 zugegeben, auf dem Übungsplatz mit DU-Munition und sogar Napalm experimentiert zu haben. Allein beim Training für den Kosovo-Einsatz wurden 263 uranabgereicherte Geschosse "aus Versehen" abgefeuert, von denen lediglich 57 anschließend sichergestellt wurden, wie die US-Marine selbst eingeräumt hat. Radioaktives Material darf nach amerikanischem Recht bei Übungseinsätzen nicht verwendet werden. Mediziner machen die Dauerbombardements der US-Navy für eine deutlich erhöhte Krebsrate der Bewohner verantwortlich sowie für die enorme Verseuchung von Boden und Wasser. Die Regierung von Puerto Rico appellierte derweil an die EU, in ihre Untersuchungen auch Vieques einzubeziehen. Auch bei Okinawa, Japan, und in Südkorea wurde DU-Munition getestet und gelagert. Israelis benutzen DU-gepanzerte Fahrzeuge, die ihnen die US-Armee geschenkt hat, in der Westbank und dem Gazastreifen. (BG)

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