Kommunales

Die Zeichen stehen auf Privatisierung

Sterben wie am Fließband

Die Situation am städtischen Krankenhaus hat in den letzten Wochen Schlagzeilen gemacht. Die Ratsversammlung musste sich mehrfach mit Klagen über Arbeitsbelastung und damit verbundenen Versorgungsmängeln beschäftigen und das Thema dürfte auch mit dem von Sozialdezernentin Bommelmann vorgelegten Bericht (siehe Artikel auf Seite 1) nicht erledigt sein. Im Februar stehen dazu zwei Große Anfragen auf der Tagesordnung des Rates, auch wenn König Norbert sich angesichts soviel Parlamentarismuses reichlich genervt gibt.

LinX sprach mit einem Personalratsmitglied, das es vorzog ungenannt zu bleiben. Weder Krankenhausleitung noch die harmoniebedürftige Personalratsmehrheit haben nämlich Kritik besonders gern und kennen so manches Mittel, "Störenfriede" abzustrafen. Dem Pflegeteam E1 wurden z.B. nach einem Protestschreiben an die Krankenhausleitung (siehe LinX 26/00), in dem es sich über "unerträgliche Arbeitsbelastung" beklagte, dreieinhalb Planstellen gestrichen. Auch Abmahnungen gegen kritische Gewerkschafter gehören zum Repertoire der Chefs, ohne dass sich die ÖTV-Kreisleitung daran groß zu stören scheint.

"Vollkommener Unsinn" sei der Bommelmann-Bericht, so unser Gesprächspartner. "Was die angeblich an 'einigen Stellen sogar ausgesprochen gute Patientenversorgung' angeht, so gibt es zum Beispiel lange Wartezeiten in der Aufnahme." Ursache: Permanente Überlastung von Ärzten und Pflegepersonal. Mindestens 5000 Überstunden schieben die Krankenschwestern- und pfleger langfristig vor sich her. Hinzu kommen noch die ebenfalls horrenden Überstunden der Ärzte, die allerdings weniger gut dokumentiert sind.

Besonders schlimm sei die Situation gerade in der chirurgischen Ambulanz und internistischen Aufnahme. Dort sind derzeit bei nur sechs Planstellen 700 Überstunden aufgelaufen. Das sind pro Schwester bzw. Pfleger mehr als zwei Arbeitswochen. Der größte Überstundenberg wurde allerdings in der internistischen Intensivstation angesammelt, wo das Pflegetermin E1 arbeitet. Dort sind von 35 Planstellen derzeit nur 31 besetzt. Ergebnis: 1700 Überstunden. (Alle Zahlen beziehen sich ausschließlich auf Krankenschwestern und -pfleger.)

Die sind allerdings nicht nur auf die fehlenden Arbeitskräfte zurückzuführen, sondern vor allem auch auf die erheblich gestiegene Arbeitsintensität. Natürlich, so unsere Informantin, ist es "normal", wenn im Krankenhaus kurzfristig Überstunden anfallen. Was Bommelmann allerdings unterschlägt, ist, dass es sich bei den 5000 keinesfalls um kurzfristige Überstunden handelt. Normal sei, dass, wenn eine Kollegin oder ein Kollege krank wird, man mal kurzfristig einspringt und dafür noch in der gleichen Woche einen anderen Tag frei bekommt. Die Personaldecke ist allerdings so dünn, dass daraus in der Regel nichts wird, d.h. dass man sich eben nicht einen anderen Tag zum Ausgleich frei bekommt, sondern die Überstunden viele Wochen, oder sogar Monate vor sich herschieben muss.

"Bei uns in der Abteilung hat es z.B. früher 20 Extrawachen gegeben, wofür meistens Studenten eingestellt wurden. Heute sind es nur noch drei." Innerhalb von fünf Jahren sei die Zahl der Personen pro Schicht fast halbiert worden. Waren es früher acht, so sind es jetzt nur noch vier bis fünf. Und als sei das noch nicht genug, ist auch noch das Arbeitspensum pro Schicht gestiegen. Kürzere Liegezeiten der Patienten führen zu größerem Durchsatz und damit zur Zunahme der besonders arbeitsintensiven Aufnahme. Medizinische Fortschritte täten ihr übriges, die Pflegeintensität zu erhöhen. Dadurch, dass heutzutage erfreulicherweise mehr an Leben rettenden Maßnahmen möglich sei, würde eben auch der Pflegeaufwand pro Patient steigen.

Zeit, die woanders fehlt, die bei anderen Patienten abgeknapst werden muss. Entsprechend steigt, besonders auf einer Intensivstation auch der psychische Stress. "Heute kann man, wenn mal wieder einer gestorben ist, nicht mehr zur Kollegin, die ihn versorgt hatte, sagen, mach mal eben eine Pause. Heute wird einfach durchgearbeitet. Sterben wie am Fließband."

Das Pflegeteam E1 fragte denn auch die Pflegedirektorin des Hauses in einem Brief Mitte Januar, ob sie die Situation noch verantworten kann: "Welcher Grad an PatienInnenschädigung muss erst erreicht werden, damit Sie und die anderen Mitglieder der Krankenhausleitung Ihrer Verantwortung gerecht werden?" Fast die gesamte Abteilungsbelegschaft hatte die harschen Worte unterschrieben.

Dennoch meint unser Gesprächspartner, dass die Situation am städtischen Krankenhaus nichts besonderes sei: "Mehr oder weniger sieht es heute überall so aus." Das seien die Folgen der Gesundheitsreform. "So sieht es aus, wenn alles nur noch vom Sparen redet und nicht mehr von den Menschen."

Und das Ende der Fahnenstange scheint noch nicht erreicht. Die Zeichen stehen auf Profit und Privatisierung. Als im letzten Jahr die Stelle des Krankenhausdirektors neu ausgeschrieben wurde, war in der Tätigkeitsbeschreibung zu lesen, dass zu seinen Aufgaben die Umwandlung der Rechtsform des Krankenhauses gehören wird. Aus dem städtischen Betrieb soll eine GmbH oder ähnliches werden. Dr. Ventzke, der schließlich im Sommer den Posten bekam, scheint dafür die besten Voraussetzungen mitzubringen. Zuvor war er bei einer Gesellschaft beschäftigt, die sich auf die Privatisierung öffentlicher Krankenhäuser spezialisiert hat und selbst welche betreibt, wie das ehemalige Kreiskrankenhaus in Rendsburg.

Dass bei einer Privatisierung Arbeitsdruck und als dessen Ergebnis Versorgungsmängel noch weiter zunehmen werden, liegt nicht nur für unsern Gesprächspartner auf der Hand. Kiel läge damit mal wieder voll im Trend. Seit geraumer Zeit drängen private Unternehmen auf den "Krankenhausmarkt", auch das ein Bestandteil des allgemeinen Deregulierungs- und Liberalisierungswahns. Der Bundesverband der deutschen Industrie fordert von Bundesregierung und EU-Kommission sogar, innerhalb der Welthandelsorganisation WTO für eine weltweite Privatisierung öffentlicher Versorgungseinrichtungen zu sorgen, worunter auch die Gesundheits- und Bildungswesen verstanden werden.

Mancherorts formiert sich gegen diese neoliberale Politik bereits der Widerstand. Und in Kiel? "Mit 20% ist bei uns der Organisationsgrad für ein Krankenhaus relativ gut. Doch die Leidensfähigkeit der Leute ist extrem hoch. Hier ist es nicht so, wie in Frankreich oder Polen, wo die Pfleger und Schwestern auch schon mal streiken." Entsprechend müsse man sich selbst mit dem Personalrat noch auseinandersetzen, anstatt von ihm unterstützt zu werden. Auch von der ÖTV-Kreisleitung gab es bisher wenig Hilfe.

Dennoch: Da die Missstände eher noch schlimmer werden, will man weiter machen. Als nächstes steht ein Besuch der Ratsversammlung an. (wop)

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