Debatte

Zum Offenen Brief und zirkulierendem Anti-LinX-Traktat

Grüße aus dem Doppelboden!

Aus einem – in der Hauptseite im Freizeitbereich agitierenden – linken Politbiotop wird seit Wochen, in entsprechenden Szene-Lokalitäten und linken Buchläden, "linxlästerliches" gegen die Redaktion und "verdrehtes" gegen LinX-Autoren ausgestreut. In der LinX wurden Teile davon beantwortet und dokumentiert . Mit dem Hinweis "Ich garantiere Dir, es steht auch Schwachsinn drin!" – auf den von LJ; SG; JS gezeichneten "Offener Brief an die Redaktion ..." – verkaufte der Autor dieser Zeilen erfolgreich mehrere Exemplare der letzten Ausgabe.

Neben der Stellungnahme von B.G. nachfolgende Sätze von mir (W. Jard), gerichtet an Leser/innen, die einer Entwicklung sozialistischer Perspektiven, unter Berücksichtigung real existierender Kräfteverhältnisse, zumindest aufgeschlossen gegenüberstehen. An einer solidarischen Auseinandersetzung und Politik – mit den Menschen – Interessierten wird nicht entgangen sein: Den von mir gezeichneten Beiträgen eine pro-imperialistische Haltung entnehmen zu können, erfordert ein ausgefeiltes, geistiges Fragmentierungsprogramm oder geistige Windstille, die oft mit (verbal)revolutionärer Hektik kompensiert wird.

Ich behaupte:

  1. Sich allein an den vier Worten "... Hoffentlich siegen die USA ..."im Kommentar "Einmarsch begrüßen?" (vgl. LinX 22/01) aufzuhängen und dem Schreiber pro-imperialistische Positionen zu unterstellen, kann nur einem antiamerikanischen Reflex entspringen. In dem Kommentar bedauerte, ich den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan 1979 nicht begrüßt zu haben. Der Artikel endete mit ... "Hoffentlich siegen die USA mit Alliierten möglichst schnell gegen die Terroristen und deren islamisch-theokratischen Unterstützer. Das die saudische Führungsoligarchie mit zerschlagen wird, darf nicht gehofft werden! Leider!" Sicherlich: Kurz vor Redaktionsschluss mit flinker Feder (Tasten) geschrieben, aber eindeutig – auch in anderen Artikeln – gegen die aktuelle Bomben-Kriegsführung der USA gerichtet.
  2. Ein maßgeblicher Teil der (auch radikalen) Rest-Linken in Deutschland stellt bekanntlich Forderungen an den kapitalistischen Staat zum Eingreifen: Verbot aller faschistischen Organisationen! So lautet eine aktuelle Forderung an die bürgerliche Legislative, Jurisdiktion und Exekutive. Das impliziert, bei den absehbaren politischen und militärischen Kräfteverhältnissen, eine Umsetzung gar durch eine "Law and Order" - Regierung. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich! Bei einer entsprechenden Konstellation würde ich mich ggf. erdreisten, Rechtskonservativen einen Sieg über die Faschisten zu wünschen. Denn ein Sieg der Letztgenannten wäre eine Niederlage der Erstgenannten!
  3. Typisch linkes Politikverständnis, nicht nur in Deutschland, lässt sich meist unter dem Motto "Wir unterstützen grundsätzlich nicht, was andere Kräfte schaffen – nutzen aber gerne die neugeschaffene (auch für linke Kräfte) vorteilhaftere Situation". Ein junges Beispiel: ... "Die Pakistanische Arbeiterpartei wird den winzigen Kräften der afghanischen Linken helfen, die sich derzeit bietende zeitlich begrenzte Chance zu nutzen, in Afghanistan Strukturen aufzubauen". ... schreibt Farooq Tariq als Generalsekretär der Labour Party Pakistans am 13.11.01 (vgl. LinX 24/01) Die (Ur-) Enkel der Kritiker des Friedensvertrages von Brest-Litowsk und altbekannten "Revolutionsexporteure" sind nach wie vor "... in der Hoffnung auf einen demokratisch-sozialistischen Wandel". Auch in Pakistan scheinen realitätsferne Tagträumer in linken Biotopen eine gesellschaftliche Basis zu haben.
  4. Am Beispiel kaum entwickelter Solidarität mit Slobodan Milosevic, der – im wahrsten Sinne des Wortes – die Truppen gegen völkische Bestrebungen und imperialistische Angreifer organisiert hat, wird die selbstzufriedene Genügsamkeit und Verdrängungskunst der hiesigen Linken deutlich. Oder habe ich in letzter Zeit aus den Aufrufen zu und Reden auf den Anti-Kriegs-Demos entsprechendes überlesen oder überhört? Auf der letzten in Kiel war ich zwar mit Anderem beschäftigt, doch ein Plakat/Transparent mit der Aufschrift "Freiheit für Slobodan Milosevic" hatte ich zumindest im Kopf. Andere auch? Wenn nein, wage ich statt Ohnmacht mehr oder weniger bewusstes Ausblenden zu diagnostizieren: Ausblenden von real existierenden Kräfteverhältnissen! Ignorieren von fortschrittlichen antiimperialistischen Kräften, die nicht ins revolutionsromantische, sektiererische, möglichst militant-exotische Weltbild passen! Deutschland (kriegs-)führend gegen Jugoslawien, der attackierte Expräsident sitzt einsam in Den Haag auf der Anklagebank des UN-Tribunals, einem illegalen Gerichtshof der NATO-Staaten, und wo stehen die Linken im Lande? Zu konkret, das Ansinnen? Was hat das mit dem Thema (der Kritiker an der LinX-Redaktion und an zwei Autoren) zu tun? Zumindest soviel, dass dies als Hinweis dienen kann, dass die Mitglieder der LinX-Redaktion weder geistig noch körperlich im "Elfenbeinturm" oder ähnlich abgehobenen Gebilden hausen!
  5. Den Mitgliedern der LinX-Redaktion ein (politisches) Leben im Elfenbeinturm vorzuwerfen, kann nur die Folge szenekneipenbedingten Sauerstoffmangels oder politsektiererischen Hasses sein. Leben im Doppelboden Soweit mir bekannt, stehen die derzeitigen Redaktionsmitglieder/innen "mitten im Leben"; soll heißen: Privat, beruflich und politisch meist nicht nur allein für und mit sich selbst aktiv und zuständig, sowie teilweise berufsbedingt weit außerhalb Kiels tätig, gelingt en passant noch die regelmäßige Produktion der LinX. (Was auch eine permanente Frequentierung von Szenelokalitäten erschwert!) Im Gegensatz zum Alltag manch/er doppelbödigem/r Kritiker/in erlaubt dies mehr die Assoziation von Leben und Arbeiten am Doppelboden, denn im Elfenbeinturm! Grüße aus dem Doppelboden!

W. Jard

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