Betrieb & Gewerkschaft

Familiärer 1. Mai in Kiel

1. Mai in Kiel

800 Demonstrationsteilnehmer zählte die Polizei beim Abmarsch vom Wilhelmplatz, 3000 gar der DGB am Ende auf der Kundgebung am Gewerkschaftshaus. Es werden letztendlich um die 1500 Teilnehmer älterer Jahrgänge gewesen sein! Einige Leute mehr als sonst brachte die IG Metall, aufgrund der laufenden Tarifrunde, auf die Beine. Durch Fahnen sichtbar waren dahinter vor allem ver.di-aner und IG BAU-ler. Auffallend daneben ein Trupp mit einer israelischen Staatsfahne. Was von der Initiative Verteidigt Israel "Solidarität mit Israel" (Bahamas) offensichtlich provokativ gedacht war, stieß nur auf Verwunderung oder Unverständnis.

Selbst bei den zahlreich versammelten Veteranen der vormals alten und neuen Linken: Diesen wird die Teile der, mehr oder minder, organisierten Rest-Linken bewegenden Debatten – die zur Zeit kontraproduktiv geführt werden – im Zusammenhang mit der Situation in Israel/Palästina kaum bekannt sein. Die berechtigt aufgeworfene Frage "Was ist heute (wieder) völkisch oder gar antisemitisch?" (Vgl. LinX 8/01) wird die – früher auf dem leuchtend roten Pfad Schreitenden und oft andere Staatsfahnen (China, Albanien, UdSSR, Kuba, Nicaragua ...) Tragenden – in einer eher völkisch-antiamerikanischen Grundhaltung verharrenden "Alt-Genossen" vermutlich kaum tangieren. Selbst der grundlegende Positionswechsel der PKK in Kurdistan, weg vom "Volkskrieg" nebst Auflösung der PKK und der Neuorganisation im Kongress für Demokratie und Freiheit Kurdistans (KADEK), wird nur wenigen bekannt und in seiner Tragweite bewusst sein!

Debatten oder Streitigkeiten waren nicht zu vernehmen, was nicht nur an der Abwesenheit permanentrevolutionärer und völkisch orientierter, trotzkistischer Gruppierungen lag. Man kennt sich – von früher! Unter anderer Staatsfahne!

Selbst die, in bezug auf Israel/Palästina mittlerweile eindeutig völkisches und antisemitisches publizierenden, DKP-Genossen hatten wichtigeres zu tun: Sie sammelten Stütz-Unterschriften für die Direkt-Kandidatur zur Bundestagswahl im Wahlkreis Kiel. MLPD, DIDF, KADEK, Avanti ... waren weitere Fahnen oder Transparente tragende oder flugblattverteilende linke Organisationen. Lokale und landtägliche sozialdemokratische Politiker gaben sich die stille Ehre.

Hauptredner war der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Frank Teichmüller. Nach einem angesagten tarifpolitischen Einstieg ging es zum 1. Mai 2002 Motto "Globalisierung gerecht gestalten". Was früher von Marxisten als Imperialismus bezeichnet wurde, wird heute – breitgetragen – als Globalisierung bejammert und mehr oder weniger als zu reparierender oder zu schließender Irrweg des Kapitalismus gesehen. Ein gefährlicher Ladenhüter auch die platte Attacke von Teichmüller gegen das "spekulative Kapital". In der Frage gab es schon immer fließende Übergänge aus der Arbeiterbewegung zur faschistischen Bewegung: Die zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital unterscheidende Demagogie haben die Nazi-Faschisten bekanntlich auf die Spitze getrieben. Antisemitismus! Ähnlich platt der Hinweis auf die, in zwei Jahren um 65 Prozent gestiegenen, Gehälter der Manager der 30 größten börsennotierten Unternehmen der Republik. Das schürt so mehr kleinbürgerlichen Sozialneid als gesunden "Klassenhass"! Die kritisierten Managergehälter werden mit Zustimmung oder Duldung der gewerkschaftlichen Funktionäre in den Aufsichtsratsgremien gezahlt! In dieser Funktion hatte beispielsweise der IGM-Vorsitzende Klaus Zwickel exorbitante Abfindungen an Mannesmann Vorstandsmitglieder per Stimmenthaltung gebilligt. (Vgl. LinX 24/01 ) Bekannt wurde in den letzten beiden Jahrzehnten kein nennenswerter Widerstand der Gewerkschaften gegen die neoliberale Offensive von Kapital und Kabinett. Nachträglich wurde von Teichmüller der Neoliberalismus blumig-moralisch kritisiert. Vom nachfolgenden Redner, Volker Rudnik (Gesamtpersonalratsvorsitzender der Stadt Kiel), wurde die anhaltende neoliberale Privatisierung im Öffentlichen Dienst beklagt. Dessen Gewerkschaft, ver.di, hat sich mit alternativen Reformüberlegungen für öffentliches Wirtschaften nie bemerkbar gemacht!

Von gelegentlichem verhalten-höflichem Applaus unterbrochen wurde während der Reden auf dem Platz vor und im Hof hinter dem Gewerkschaftshaus mehr geplauscht als gelauscht. Weshalb auch dem Autor dieser Zeilen die Rede eines betrieblichen Funktionärs zum Schluss der Kundgebung entging!

W. Jard

LinX-Startseite Inhaltsverzeichnis