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Entlassungen, Insolvenzen und Kurzarbeit an der Förde

Bugwellen des Aufschwungs?

Bugwellen des Aufschwungs?

Mit der Semecs und Hagenuk-CPS Gmbh sind kürzlich die letzten Firmenfragmente des Telekommunikationsherstellers Hagenuk am Westring, der vor Jahren noch vierstellige Belegschaftszahlen aufwies, bis auf eine Ausnahme verschwunden. Die EADS Hagenuk Marinekommunikation, mit 100 Beschäftigten bei Flintbek, war ursprünglichen Ende der 80-iger als HDW-Elektronik (später Salzgitter-Elektronik) an der B404 angesiedelt worden. Der Niedergang von Hagenuk begann schon, bevor aus dem Neuen Markt die heiße Luft entwich. Nach den verlorenen Börsenwetten auf die Zukunft schlägt die Überproduktionskrise weiter durch: Nach ISION, denen zumindest der Einzug im neuen "Kachelkasten" an der Hörnspitze gelang, streicht nun der Online-Broker comdirekt mit 300 Arbeitsplätzen im "KiWi-Tower" in der Wik die Segel. 660 Arbeitsplätze bis Juli 2004 hatte die Commerzbank-Tochter, laut Aussagen des obersten Kieler "Investoren-Gläubigers", OB Norbert Gansel, nach "Geist und Ziel" in dem Ansiedlungsvertrag für den geplanten Büro-Komplex an der Hörn versprochen.

Schmid-Bauruine an der Hörn-Brücke

Ansiedlungsversprechen wie die von Gerhard Schmidt (MobilCom), dessen Bau auf dem Hörngelände nicht nur als derzeitige Investitionsruine Sprengungsphantasien erzeugen. Dem Gründer der Büdelsdorfer Firma – der sich heute mit der MobilCom und deren Mutterkonzern France Télécom (FT) über den Preis für den noch von ihm und seiner Gattin gehaltenen 50 Prozent Anteil schlägt – hatte u.a. die Sparkasse Kiel nach dessen teuren UMTS-Deal vorsorglich den Geldhahn zugedreht. Insolvenzgerüchte wurden letzte Woche dementiert. Angeblich will FT ihre Mobilfunktochter Orange über MobilCom – von den 5000 Beschäftigten sind noch 2000 in der Büdelsdorfer Zentrale tätig – in Deutschland einführen.

Schließungen kleinerer Firmen und Geschäfte werden medial weniger bekannt gemacht. In der Summe sind hier mehr Menschen betroffen. Diese werden oft wesentlich schlechter abgefunden als die in den größeren Betrieben nicht mehr als betriebsnotwendig erachteten Menschen. Die Pleite von Brinkmann und die Aufgabe von anderen Geschäften auf der zentralen Konsummeile wird selbst den hier nur mäßig Einkaufenden noch aufgefallen sein. Brinkmann war öfters in der lokalen Presse, u.a. weil die Mitarbeiter der Filiale in Neumünster keine Sozialplanabfindungen erhielten: Sie hatten es über Jahre nicht für nötig befunden oder geschafft einen Betriebsrat zu gründen. Immerhin im Wirtschaftsteil der Lokal- und Regionalblätter werden Firmen wie die mit 100 Beschäftigten heute im Insolvenzverfahren befindliche August G. Koch Maschinenfabrik in Kiel-Hassee erwähnt. Entlassungen wie bei der Firma Stein u. Sohn in Schönberg, wo die Hälfte der 75 Beschäftigten betroffen sind, finden allenfalls als Randnotiz ihren Niederschlag.

Nach 250 Entlassungen wird beim SIM-Karten Hersteller ORGA in den Knicks bei Flintbek über weitere Entlassungen gesprochen. Die Firmenleitung wollte eine tarifvertraglich mögliche Härtefallregelung in Anspruch nehmen und den 650 Beschäftigten die Tariferhöhung nicht zukommen lassen. Dass hierzu mit der IG Metall ein Sanierungstarifvertrag abzuschließen ist, wurde "überlesen". Dieser Tarifvertrag soll nun im Oktober abgeschlossen werden. Bis dahin werden monatlich 75 Euro auf das Tarifentgelt gezahlt. Bei der Raytheon Marine GmbH in der Wik kursieren Gerüchte über weitere Entlassungen. Im GKN Gelenkwellenwerk Kiel GmbH in Russee geht man von einem Ende der seit Anfang der 90-iger kontinuierlichen Einstellungspraxis von 200 auf 275 Beschäftigten aus.

Was für beständige LinX-Leser/innen seit zwei Jahren absehbar war (Vgl. LinX 13/01 und 20/00), ist nun bei der 3500 Beschäftigte zählenden HDW AG eingetreten: Im August sind 200 Werker aus der Fertigung des Handelsschiffbaus mit Sozialplanabfindungen von Bord gegangen. Ende des letzten Jahres hatte – nach Angaben der IG Metall – die Unternehmensleitung der Werft bis zu 600 Entlassungen angedroht. GeBeWe Firmensitz in der Fleethörn Zwischenzeitlich wurden meist von Qualifizierungen begleitete Versetzungen von über 250 Werkern in den boomenden U-Bootsbau vollzogen. Von den letztendlich von Entlassung bedrohten 200 Werkern nahmen 150 das "Angebot" zum Wechsel in eine Transfergesellschaft (Qualifizierungsgesellschaft) an. Über Sechzigjährige gingen in den "Vorruhestand", andere über Aufhebungsverträge. Betriebsbedingte Kündigungen wurden nicht bekannt. Auch nicht von der Heidelberger Druckmaschinen AG (HDM) in Kiel-Suchsdorf, wo 200 der 1200 Beschäftigten von der Personalrolle gestrichen werden sollen. Der sukzessive Wechsel von 150 Leuten in die von HDW genutzte GeBeWe Transfergesellschaft mbH in der Fleethörn wurde angekündigt.

In Betrieben wie HDM und HDW werden dem Vernehmen nach von den Betriebsräten Versetzungsmöglichkeiten, Transferlösungen und beachtliche Geldsummen herausgehandelt. Das Arbeitsamt soll dabei sehr großzügig mitspielen. (Groß sticht klein! Prekär Beschäftigte und aus weniger dominanten Betrieben Entlassene können von derartigen Behandlungen und Abfindungssummen nur träumen.) Manche/r wird die altersabhängige 12-24-monatige Phase in der Transfergesellschaft zum Aufbau einer neuen beruflichen Perspektive nutzen und mit Glück hieraus einen neuen Jobs finden. Doch sind die Bemühungen des einen von Erfolg gekrönt, wird dafür in der Regel ein anderer den kürzeren ziehen. Mehr Arbeitsplätze entstehen durch Qualifikation und Wille allein nicht.

Hinzu kommt der Wandel in einer Reihe von Produktionsbetrieben, der nur Arbeitslosen oder Arbeitssuchenden mit entsprechendem Schulabschluss und beruflicher Qualifikation Perspektiven eröffnet: Firmen wie der Panzerbauer Rheinmetall Landsysteme GmbH in Friedrichsort und der Schiffbauer Howaldtswerke Deutsche Werft AG in Kiel-Gaarden betreiben zunehmend nur Konstruktion, Prototypenbau und Kleinstserienproduktion mit einem hohen Vergabeanteil. Kapazitätsprobleme werden über Zeitarbeitsfirmen abgefangen, die mittlerweile von den Gewerkschaft als seriös eingestuft werden. Die nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) Vermittelten bleiben – trotz evtl. vorhandener tariflicher Regelungen oder gar einem Betriebsrat in der Verleihfirma – "Wanderarbeiter" mit sehr unsicherem Status, um die sich auch die Betriebsräte der Entleiherfirmen kaum kümmern. Wenn Werften Schiffbauer und Schweißer entlassen und gleichzeitig diverse Zeitarbeitsfirmen in Zeitungsanzeigen Schiffbauer und Schweißer "für Baustellen in Norddeutschland" suchen, wird selbst Außenstehenden klar wie die Perspektiven für viele vorher von diesen "Baustellen" entlassenen Arbeitern aussehen.

Neben dem insolvenz- und entlassungsbedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit im Arbeitsamtbezirk Kiel von 11,2 (Vorjahresmonat) auf 11,7 Prozent (dazu gehören Eckernförde von 7,3 auf 7,0 und Plön von 7,2 auf 7,3 ), spricht die Zunahme von Kurzarbeit (plus 12 Prozent zum Vormonat) in Branchen wie der Bau- und Metallindustrie gegen eine seit Monaten v.a. von Politikern angekündigten wirtschaftliche Aufschwung. Bei Caterpillar Motoren GmbH & Co. (CAT) in Kiel-Friedrichsort rechnen viele der 1200 Beschäftigten mit massiver Kurzarbeit. Nur die in Rüstungsbetrieben oder in den Militärabteilungen der Firmen Beschäftigten können in der Metall- und Elektroindustrie Kiels von einer verhältnismäßigen Arbeitsplatzsicherheit ausgehen. Der Einstieg des US-Finanzinvestors One Equity Partners (OEP), einer Tochter der Chicagoer Bank One, bei HDW zeugt vom Vertrauen US-amerikanischen Kapitals in die Zukunft gewisser "Schornstein- und/oder Rüstungsbetriebe".

Hörntristesse

Im Tourismusland Schleswig-Holstein blieb die Arbeitslosigkeit im Sommermonat August mit 8,3 Prozent annähernd auf dem Vorjahresstand von 8,2 Prozent, wobei die Anzahl der Beschäftigten abnahm. Die Kurzarbeit stieg dagegen landesweit an, die Stellenangebote nahmen hingegen ab. Nicht nur in und um Kiel deutet vieles auf Bugwellen eines weiteren gesamtwirtschaftlichen Abschwungs hin – auch wenn diese mit Heckwellen vom "gedrosselten" Neuen Markte vermischt werden. Die Auswirkungen der weltweiten rezessiven Tendenzen sind zunehmend zwischen Nord- und Ostsee und an der Kieler Förde erfahrbar. Bugwellen eines wirtschaftlichen Aufschwungs sind es nicht. (W. Jard)

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