Aus dem Kieler Rat

Hauen und Sticheln

SPD will Stadtwerke vollständig verkaufen

Große Anzeigen in der Lokalpostille, Plakataktionen in der ganzen Stadt mit Sympathieträgern, die ihren Strom da kaufen, wo sie ihn schon immer kauften (bzw. kaufen mussten). Was wir beim Telefon schon gewöhnt sind, ein erbarmungsloses gegenseitiges Unterbieten, bricht nun auch auf dem Strommarkt los, und die Kieler Stadtwerke kämpfen eifrig mit. Für die VerbraucherInnen bedeutet das neben teilweise realen Einsparungsmöglichkeiten v.a. jene "neue Unübersichtlichkeit" wie vom Telekommunikationsmarkt bekannt. Und wer nicht die neuesten Angebote befolgt, gilt bei vielen Zeitgenossen als Depp. Willig reagieren die KonsumentInnen auf das Spiel des sog. freien Marktes - wer nicht mitspielt, der muss nicht nur, der soll auch untergehen.

Die Ratsfraktionen begrüßten, abgesehen von wenigen Bedenken, das russische Roulette um die Stromkunden. Interessant ist dabei, wie die SPD sich wieder mal als Opportunistenorganisation outete. "Preisoffensive der Stadtwerke aus der Not geboren", unkte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Cai-Uwe Lindner noch in einer Pressemitteilung vom 17.8. "Die Stadtwerke wollen sich mit einem noch nicht näher konkretisierten Bündel von Maßnahmen dem Wettbewerb stellen. Die aktuelle Situation auf dem Telekommunikationsmarkt macht jedoch deutlich, wie der Wettbewerb verlaufen kann." Dies sei "erst der Anfang eines Konzentrations- u. Preisbindungsprozesses". Es sei daher "völlig offen, ob sich die Stadtwerke mit ihrem Aktionspaket auf Dauer in Kiel und im Umland als Anbieter behaupten können. Diese Initiative kann nur ein erster Ansatz sein. Weitere Angebote werden folgen müssen, um mit der Konkurrenz Schritt halten zu können". Für Lindner ist der entbrannte Preiskampf auch Vorwand, den Stadtwerke-Verkauf zügig voran zu treiben: "Angesichts des wachsenden Drucks wird die endgültige Entscheidung über eine Partnerschaft zügig, aber mit Bedacht zu treffen sein. Fakt ist, die Luft wird für die Stadtwerke dünner!" Offenbar waren Lindners Bedenken aber ein zu schneller Schuss, denn am 31.8. freute sich sein Chef Jürgen Fenske ziemlich vorbehaltlos über das Hauen und Stechen am Strommarkt. "Ich freue mich über die Preisoffensive der Stadtwerke Kiel, die damit mit wettbewerbsfähigen Angeboten im Kampf um den Kunden einsteigt. Die Preisoffensive ist die richtige und gute Antwort auf die neuen Herausforderungen auf dem Energiemarkt. Die Devise lautet: Nicht wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren, sondern durch überraschende Hakenschläge seine Chance suchen." Beim Kampf um Marktanteile gibt sich die SPD lokalpatriotisch. "Allerdings", so Fenske, "müssen wir aufpassen, dass der Wettbewerb der kommunalen Energieversorger untereinander nicht zu einem Spiel mit dem Feuer wird. Die verschiedenen Stadtwerke im Lande dürfen sich nicht gegenseitig im Wettbewerb ruinieren". So ahnt Fenske auch schon einige Gefahren der von der SPD selbst mit betriebenen Deregulierung: "Große Sorge bereiten uns die Folgen der Preiskampfes auf dem Energiemarkt für die städtischen Finanzen und die Finanzierung des ÖPNV. Geringere Einnahmen bei den Stadtwerken führen letztlich zu geringeren Konzessionsabgaben und v.a. zur Verringerung der finanziellen Ausgleichsmasse für den ÖPNV. Hier sind Unternehmen und Politik noch in der Pflicht."

Die Pflicht heißt indes weiterhin Verkauf der Stadtwerke. Dazu will die SPD in der Ratsversammlung am 16.9. einen Antrag vorlegen, der "um weitere Optionen ergänzt" wurde. Die neue Option heißt "vollständiger Verkauf", weil bei der ursprünglichen Entscheidung von Rat und Aufsichtsrat, einen Verkauf von Minderheitsanteilen anzuleiern, "das Tempo des Preisverfalls noch nicht ausreichend berücksichtigt werden konnte". Für den CDU-Fraktionschef Arne Wulff ist das eine Art Dolchstoß. Die SPD falle "den Stadtwerken in den Rücken. Ein Unternehmen, dessen Zukunft von den Eigentümern als gefährdet angesehen wird, verliert nicht nur das Vertrauen der Kunden, sondern auch seinen Wert bei Beteiligungsinteressenten". Lutz Oschmann von den Grünen befürchtet bei einem kompletten Verkauf "fehlende Steuerungsmöglichkeiten", z.B. bei der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Der Betriebsratsvorsitzende der Sadtwerke, Günter Mischke, bezeichnete den Vorstoß der SPD als "unverständlich, enttäuschend und empörend", denn er gefährde den sozialen Frieden und habe womöglich "erhebliche Wettbewerbsnachteile" zur Folge.

Jürgen Fenske verteidigte dennoch den Antrag seiner Fraktion, der lediglich eine Prüfung der Option Komplettverkauf fordere, aber keine Vorentscheidung bedeute. Jedoch sei "die bisherige Option zur Veräußerung einer Minderheitsbeteiligung nicht mehr aktuell". Vielmehr müssten "Eckwerte" für den Komlettverkauf aufgestellt werden. Die SPD will dabei ähnlich wie bei der KWG verfahren. "Profis" sollen die Verhandlungen führen. Fenske schwebt dabei eine Beratungstochter der Deutschen Bank vor. Wie bei der KWG soll also der Bock zum Gärtner gemacht werden. Als Eckwerte nannten Fenske und der Kreisvorsitzende Rolf Fischer: Sicherung der Arbeitsplätze, Bewahrung der Ausgleichszahlungen für den ÖPNV (Deckung des Defizits der KVAG von jährlich 30 Mio. DM), Aufrechterhaltung ökologischer Standards im Hinblick auf die Kraft-Wärme-Kopplung und der Konzessionsabgabe an die Stadt von jährlich ebenfalls 30 Mio. DM. Die Kreis-SPD will ferner die Wettbewerbsfähigkeit der Stadtwerke prüfen lassen, geht also noch einen Schritt weiter als die Ratsfraktion.

Die Stadtwerke selbst bekräftigten erneut ihr Unverständnis für den SPD-Antrag. Eckhard Sauerbaum, kaufmännischer Direktor, erklärte: "Wir werden uns nicht entmutigen lassen, sondern noch ein paar Briketts drauflegen." Der jüngst (LinX berichtete) von der SPD-Ratsfraktion auf seinen Posten gehievte Arbeitsdirektor Joachim Kistenmacher betonte: "Wir werden um den Bestand des Unternehmens und jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen."

Von allen politischen EntscheidungsträgerInnen vergessen wird freilich, was der Verdrängungskampf auf dem Strommarkt noch bedeutet. Das war treffend formuliert auf einem Plakat in der Kieler Innenstadt zu lesen: "Auch blauer Strom ist Atomstrom!"

(jm)