LinX-EXTRA zur Welthandelskonferenz in Seattle

Positionen der G77 und China

Die WTO-Verhandlungen sind wahrscheinlich die komplexesten internationalen Verhandlungen, und die meisten ärmeren Länder können es mit den großen Experten-Stäben der Industriestaaten nicht aufnehmen. So war es ein großer Fortschritt, dass sie in Seattle mit gemeinsamen Positionen auftreten konnten. Zusammengeschlossen sind sie in der "Gruppe der 77 und China" (G77 und China).

Die G77 und China wehrt sich v.a. gegen die Aufnahme neuer Themen in den Verhandlungskatalog. Erst müsse der Norden seinen Verpflichtungen in Bezug auf Erleichterung des Marktzugangs nachkommen. Zunächst müßten die bestehende Verträge überarbeitet werden, um Nachteile für die Länder des Südens auszubügeln. Während sie ihre Grenzen mehr und mehr für Importe und Unternehmen aus dem Norden öffnen, sind USA und EU sehr zögerlich, wenn es um den Marktzugang für Produkte aus dem Süden geht. Erleichterungen würden oftmals an politische Bedingungen geknüpft. Namentlich die Antidumping-Regeln der WTO würden benutzt, um Importen aus Entwicklungsländern die Tür zu versperren, und müssten daher überarbeitet werden. Insbesondere gilt das für den Textilsektor, der eigentlich durch eine schrittweise Anhebung der Einfuhr-Quoten hätte liberalisiert werden sollen. In den fünf Jahren des Bestehens der WTO haben jedoch die Entwicklungsländer in diesem Bereich ihre Exporte in den Norden nicht nennenswert ausbauen können.

Weiter wird gefordert, dass der Agrarmarkt in die normalen WTO-Regularien einbezogen wird, was einen Abbau der Handelshemmnisse und Subventionen bedeuten würde. Die EU müsste dann darauf verzichten, Agrar-Exporte zu subventionieren. Einige Staaten, die zur sog. Cairns-Gruppe gehören, wie die Philippinen, Malaysia, Indonesien und Brasilien, verlangen gar eine vollständige Liberalisierung. Bei den Verhandlungen um Dienstleistung wird v.a. Reisefreiheit für Bürger aus dem Süden gefordert. Schließlich verlangen die Entwicklungsländer und unter ihnen besonders die afrikanischen Staaten, dass das Abkommen zum Schutz des intelektuellen Eigentums (TRIPS) geändert wird, damit künftig Patente auf Lebensformen nicht mehr möglich sind.

Auch die Entwicklungsländer, das wurde in Seattle deutlich, sprechen sich durchaus für eine Liberalisierung des Welthandels aus, sofern diese der Entwicklung ihrer Staaten dient. Die Proteste in Seattle stießen daher bei manchem Delegierten aus dem Süden eher auf Unverständnis. "Sicher", so ein Mitglied der südafrikanischen Delegation, "die Multis dominieren in der WTO. Aber wir brauchen internationale Regeln, denn ohne diese wäre die Herrschaft der Konzerne noch viel schlimmer."

Während sich Regierungen und soziale Bewegungen der Entwicklungsländer in der Kritik an der Verhandlungsführung in Seattle einig waren, gingen die Meinungen bei der Agrarpolitik weit auseinander. Länder wie die Philippinen vertreten hier v.a. die Interessen des heimischen Agro-Business, das für den Exportmarkt produziert. Rafael V. Mariano von der Bauernbewegung der Philippinen (KMP) berichtete in Seattle, wie die Marktöffnung in vielen Ländern die Nahrungsmittelversorgung untergraben hat. In Indien sei die Anbaufläche für die Grundversorgung mit der Liberalisierung zurückgegangen. Mexiko habe vor dem Inkraftreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens 20% seiner Lebensmittel importiert. 1996 waren es bereits 43%. Auch auf den Philippinen würden die Reisimporte rapide zunehmen und den Bauern, die den heimischen Bedarf noch vor wenigen Jahren vollständig decken konnten, die Preise kaputt machen. Die Folge: wachsende Armut auf dem Land. Immer mehr Bauern seien gezwungen, sich bei Großgrundbesitzern als Landarbeiter zu verdingen. Dort verdienen sie oftmals nur 60 bis 90 Pesos pro Tag (ca. 3 bis 5 DM).

Der nordamerikanische Agro-Konzern Cargil, berichtet Mariano weiter, verkauft Mais auf dem philippinischem Markt zu einem Preis, der nur die Hälfte der Produktionskosten örtlicher Bauern beträgt. Der Mais komme allerdings von Landwirten, die dafür in den USA pro Jahr 29.000 Dollar an Subventionen bekommen, mehr, als ein philippinischer Maisbauer in seinem ganzen Leben verdienen könne, rechnet der KMP-Vorsitzende vor. Für den asiatischen Inselstaat hat das verheerende Auswirkungen: Das philippinische Landwirtschaftsministerium schätzt, dass 1998 150.000 Tonnen Mais auf den Feldern verrotteten, weil sich die Ernte nicht lohnte.

Doch Manila denkt nicht daran, seine Kleinbauern zu unterstützen. Während es für sie keinerlei Subventionen gibt, wird der großflächige Anbau von Exportprodukten mit Steuererlassen und Infrastrukturprogrammen gefördert. Präsident Estrada will sogar die Verfassung ändern, um ausländischen Gesellschaften den 100%igen Erwerb von landwirtschaftlichem Boden zu ermöglichen. 80.000 Bauern demonstrierten am 21.10.99 dagegen.

Ihr Verband, der KMP, fordert daher, dass der Agrarsektor wieder aus dem WTO-Paket herausgenommen wird. Eine Forderung, die die in Seattle versammelten Bauernorganisationen teilten. Auf einem Forum zu Fragen von Landwirtschaftspolitik und Ernährungssicherung waren sich Kleinbauern aus Frankreich, Lateinamerika, Indien, Bangladesch, Kanada und den USA einig, dass man künftig international zusammenarbeiten müsse. Wenn also im Januar 2000 in Genf die Verhandlungen über eine weitere Liberalisierung des Agrarmarktes beginnen, ist sicherlich mit Bauernprotesten rund um den Globus zu rechnen.