LinX-EXTRA zur Welthandelskonferenz in Seattle

Die WTO in Stichworten

Nach einem achtjährigen Verhandlungsmarathon, der sog. Uruguay-Runde, wurde 1995 die Welthandelsorganisation WTO gergründet. Mitglieder: Derzeit 135 Staaten, viele weitere stehen Schlange. Sitz: Genf. Ziel: Allseitiger Abbau von Handelshemmnissen wie Zöllen, Einfuhrquoten, Subventionen &c. Die Bundesregierung und nicht zuletzt der seinerzeitige Außenminister Genscher waren maßgeblich daran beteiligt, das Prinzip des Freihandels weltweit durchzusetzen.

Die WTO hat eine Schiedsstelle, die die Mitgliedsstaaten im Streitfalle anrufen können. In Europa wurden bisher am bekanntesten der Bananenstreit und die Auseinandersetzung um hormonbehandeltes Rindfleisch, beide zwischen der USA und der EU. In beiden Fällen wie in vielen anderen auch, endschied das Schiedsgericht, dass die Einfuhrbeschränkungen der EU ein unzulässiges Handelshindernis darstellen.

Die Uruguay-Runde schloss 1994 in Marrakesh (Marokko) mit der Unterzeichnung einer Vielzahl von Einzel-Verträgen ab. Die wichtigsten sind:

Die GATT-Verträge: Sie gehen bereits auf das Jahr 1947 zurück und wurden seitdem mehrfach überarbeitet und ausgebaut. Generelles Ziel ist, den Handel zwischen den Mitgliedsländern so frei wie möglich zu machen. Die Staaten behalten das Recht, Zölle zu erheben, andere Restriktionen wie etwa Einfuhrverbote oder -quoten sind verboten. Ausnahmen gibt es nur im Falle von Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz und ähnlichem. Hier müssen die Staaten aber für den Fall, dass sie über den international üblichen Standard hinausgehen, ihre Maßnahmen mit aufwendigen Tests und Gutachten wissenschaftlich begründen. Lange nicht jedes Mitgliedsland hat dafür die ausreichenden Mittel. Zudem wurden bisher fast alle Streitfälle, die vor das WTO-Schiedsgericht gebracht wurden, zu Ungunsten von Verbraucher- (z.B. Hormonfleisch) und Umweltschuz entschieden. Selbst in den USA wurden einige Umweltschutzgesetze durch WTO-Sprüche außer Kraft gesetzt.

Die GATT-Verträge erlauben Strafmaßnahmen gegen Dumping, wenn Waren unter ihren Gestehungskosten verkauft werden. Während die USA und die EU-Staaten ihre Agrarexporte regelmäßig direkt oder indirekt subventionieren (und damit die Preise in vielen Entwicklungsländern drücken), wenden v.a. die USA Anti-Dumping-Maßnahmen gerne gegen Länder des Südens an. Die Gruppe der 77 und China werfen Washington Missbrauch vor und fordern daher, dass die entsprechenden Verträge überarbeitet werden.

Aus den GATT-Bestimmungen ausgenommen waren bisher die Bereiche Textilien und Landwirtschaft. Für Textilien wurde in Marrakesh der schrittweise Abbau von bestehenden Einfuhrquoten vereinbart. Allerdings sind die beschlossenen Schritte so winzig, dass die Entwicklungsländer auf diesem für sie so wichtigen Sektor auch fünf Jahe nach WTO-Gründung keinerlei Fortschritt verzeichnen können.

In der marokkanischen Metropole wurde ebenfalls beschlossen, dass ab Anfang 2000 über die Liberalisierung des Agrarmarktes verhandelt werden muss. Hier stehen sämtliche Subventionen für Landwirte zur Disposition. Das Nachsehen werden Kleinbauern rund um den Globus haben, auch in den USA, wo viele Familienbetriebe - nicht anders als in Europa - schon jetzt ums Überleben kämpfen müssen. Umweltgruppen und Bauernorganisation befürchten, dass das freie Spiel der Marktkräfte die Welternährung ernsthaft gefährden wird. Schon jetzt gehen in einigen Ländern, die erste Liberalisierungsschritte vollzogen haben, die Anbauflächen zurück.

Das TRIPS-Abkommen regelt Urheberrechte und Patentangelegenheiten. Nachdem alle Industriestaaten in ihren frühen Entwicklungsphasen zunächst ohne Hemmungen bei der Konkurrenz abgekupfert haben, wollen sie jetzt die Entwicklungsländer davon abhalten, es ihnen gleich zu tun. Darüberhinaus sorgt ein zunächst wenig beachteter Artikel für besondere Aufregung: Artikel 27 (3b) des TRIPS-Vertrages ermöglicht die Patentierung von Lebensformen. In den USA wurden bereits die ersten Patente auf Reissorten angemeldet, die in Indien seit Jahrhunderten angebaut werden. Inhaber des Patents sind allerdings nicht indische Bauern, sondern ein amerikanischer Agro-Konzern. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich bei Naturheilmitteln ab. Die bekannte indische Wissenschaftlerin und Aktivistin Vandana Shiva hat diesen Prozess passend mit Bio-Piraterie bezeichnet. Die Gruppe der afrikanischen Staaten hat in Seattle erfolglos Neuverhandlungen über diesen Artikel gefordert. Auch in der EU sind Patente auf Lebensformen seit Kurzem möglich.

Der GATS-Vertrag soll die für den Handel mit Gütern geltenden Prinzipien auf Dienstleistungen ausdehnen. Betroffen hiervon sind der Banken- und Versicherungssektor, die Tourismusbranche, sowie Telekommunikation und Internetdienste. Die weitere Liberalisierung in diesem Bereich soll ab Januar 2000 verhandelt werden. Die Gruppe der am wenigsten entwickelten Staaten will in diesen Themenkomplex auch die Frage der Reisefreiheit für die Bürger ihrer Länder einbringen, für die es fast unmöglich ist, in Industriestaaten ein Touristen- oder gar Arbeitsvisum zu erhalten.

Gruppe der 77 und China (G77 und China): Zusammenschluss von Entwicklungsländern, der in vielen internationalen Verhandlungen mit gemeinsamen Positionen auftritt. Zum Teil sehr uneinheitliche Interessen, da u.a. auch viele Öl produzierende Staaten Mitglied sind.

PGA (People's Global Action Network): Loses internationales Netzwerk von einigen radikalen Umweltschutzgruppen, Einzelpersonen und Bauernorganisationen in vielen Ländern, das sich gegen Neoliberalismus und Globalisierung richtet. Organisierte im Frühjahr 99 eine internationale Karawane u.a. mit indischen Bauern durch Europa aus Anlass des G7-Gipfels in Köln und eine weitere Karawane in Nordamerika gegen die WTO-Konferenz in Seattle. Auch die beiden globalen Aktionstage am 18.7. und 30.11.99 wurden vom PGA angestoßen.

Zum Weiterlesen: Von Subsistenz bis WTO-Reform - Alternativen zum herrschenden Weltagrarhandel, BUKO-Agrarstudien 8