Antifa-Diskussion

Beim Wort genommen

eine Erwiderung auf die Anmerkungen von A.b. in LinX 26/00.

Wenn A.b. von AVANTI fragt "Sollen wir ernsthaft über Dimitroff und unsere Position zur Volksfrontpolitik von einst streiten?", so möchte ich ihr oder ihm zunächst im Originalton ihrer (oder seiner) eigenen Organisation (aus Platzgründen leicht gekürzt) antworten:

1. "AVANTI begreift sich als Teil der widersprüchlichen Geschichte von sozialistischen, libertären und kommunistischen RevolutionärInnen. Dem Marxismus verdanken wir wichtige theoretische Erkenntnisse, wie die Spaltung der Gesellschaft in Klassen, die materialistische Geschichtsauffassung oder die Einblicke in die Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie. Seine Uminterpretation in ein System von dogmatischen unbezweifelbaren Lehrsätzen, wie sie vor allem von den kommunistischen Parteien sowjetischer Prägung vorgenommen wurde, lehnen wir jedoch entschieden ab ... Insbesondere die politische Strategie und Taktik muß auf die heutige gesellschaftlich Situation zugeschnitten sein... Gleichwohl versuchen wir, aus der Geschichte zu lernen", Bewährtes zu übernehmen und Fehlentwicklungen zu erkennen und zu vermeiden. In diesem Sinne versuchen wir die Gratwanderung, undogmatisch vorzugehen, ohne in theoretische Beliebigkeit zu verfallen." (S.37/38).

2. Es gibt "...für die revolutionäre Linke guten Grund, ihre Weltanschauung zu überprüfen und aus der Deformation und Niederlage der Sowjetunion Lehren zu ziehen. Alte Konzepte müssen überprüft und neue Antworten und Perspektiven gefunden werden." (S.33).

3. "Theoretische Erkenntnisse sind für eine revolutionäre Politik unverzichtbar. Aktionismus, der die Folgen und Ziele der eigenen politischen Arbeit nicht ausreichend reflektiert, wollen wir vermeiden." (S.69).

Allein schon durch diese Zitate aus dem jüngsten Grundsatzpapier von AVANTI Projekt undogmatische Linke wäre A.b.s Frage: "Sollen wir ernsthaft über Dimitroff und unsere Position zur Volksfrontpolitik von einst streiten?" Von AVANTI selbst eindeutig mit Ja beantwortet.

Nebenbei gesagt fällt bei diesem neuesten Diskussionsbeitrag aus den Reihen von AVANTI auf, daß manchen dortigen GenossInnen die eigenen Veröffentlichungen nicht gerade geläufig sind, während andererseits bei den KritikerInnen der AVANTI-Politik nun schon zum zweiten Mal in dieser Debatte die Kenntnis aller Veröffentlichungen ihrer Organisation als selbstverständlich vorausgesetzt wird - eine Anmaßung, die sich mit der gleichzeitigen Selbsteinschätzung als "Randfurz der Geschichte" (A.b.) nun überhaupt nicht verträgt. Übrigens wo bitte, möchte ich bei dieser Gelegenheit A.b. fragen, finde ich jene Ausführungen, die sie oder er als "unsere Position zur Volksfrontpolitik von einst" unter "schon oft Veröffentlichtes" (A.b.) subsumiert? Ich bin sehr interessiert daran.

AVANTI hat sich die m. E. aus revolutionärer Perspektive richtige Aufgabe gestellt "heute mit der Organisierung von Revolutionärinnen zu beginnen" (a.a.O. S.7). An dieser Aufgabenstellung sollten und können wir, möglichst undogmatisch aber ohne in theoretische Beliebigkeit zu verfallen, ermessen, wie weit die Diskussion über revolutionäre Erfahrungen mit Volksfrontpolitik, die Boney M. dieser Debatte um den eigenen und den staatlichen Antifaschismus hinzugefügt hat, nützlich oder nur "Unfug" (A.b.) ist. Sehr hilfreich für die Klärung dieser Frage ist dabei auch jene oben zitierte Passage aus dem Grundsatzpapier von AVANTI, welches die eigene Organisation als Teil der revolutionären Bewegung und deren Geschichte begreift. Damit wird die Revolution als historische Realität wahrgenommen, als lebendiger geschichtlicher Prozeß, der schon ein gewisses Stück durchaus nicht geradlinigen Weges zurückgelegt hat, wieder aufgenommen werden und schließlich zu Ende gebracht werden muß. Anders als eine in der heutigen Linken eher gängige Vorstellung von Revolution als ewig der Arbeiterbewegung nur vorschwebende Vision oder Utopie, jenseits von vergangener und gegenwärtiger gesellschaftlicher Praxis in der Konfrontation zwischen Bourgeoisie und Proletariat, schafft dieser auf geschichtliche Erfahrung gerichtete Blick revolutionäre Identität und macht so AVANTIs Aufgabenstellung, (wieder!) mit der Organisierung der RevolutionärInnen zu beginnen, plausibel.

Plausibel wird, so gesehen, dann aber auch die Kritik von H.Errrossi, wo dieser AVANTI am 16.9.00 in der Rolle des kritischen Regierungsberaters, bzw. im aussichtslosen Flirt mit der Macht dahinschmelzen sieht, und vollends plausibel die kritische Analyse der auf den Begriff "Volksfront" zurückgeführten klassenübergreifenden Bündnispolitik gegen den Faschismus damals und heute durch Boney M. Letzteres liegt erst recht nahe, da AVANTI selbst mit Blick auf die Geschichte des revolutionären Klassenkampfes in dem Grundsatzpapier betont: "Insbesondere dürfen wir auch all diejenigen GenossInnen nicht vergessen, die im Widerspruch zum Stalinismus gestanden haben und oft deshalb Opfer von Verfolgung geworden sind. Die TrotzkistInnen, die kommunistische Opposition in Deutschland oder auch die spanischen Anarcho-SyndikalistInnen betrachten wir daher ebenfalls als Teil der Geschichte, auf die wir uns beziehen." (S.38). Bedarf nach der entsprechenden Analyse liegt auch nahe, wenn AVANTI an dieser Stelle fortfährt: "Der Stalinismus hat so nicht nur die Gesellschaft der UdSSR und der anderen sozialistischen Staaten deformiert, sondern der sozialistischen Utopie und Bewegung insgesamt schweren Schaden zugefügt. Wer heute - wie AVANTI - an der sozialistischen Utopie festhält, muß sich die Frage stellen lassen, wie ähnliche Fehlentwicklungen in der Zukunft verhindert werden sollen. Das betrifft vor allem das Verhältnis von RevolutionärInnen und Demokratie" (S.39).

Mit allen bis hierher zitierten Aussagen aus dem Grundsatzpapier von AVANTI stimme ich im Wesentlichen überein, besonders auch damit, daß das Verhältnis von RevolutionärInnen und Demokratie" hinterfragt werden muß, denn dies ist gerade eines der Probleme, wo bei mir Konsens mit dem Grundsatzpapier in Dissens umschlägt, weil für AVANTI, obwohl um Kritik der bürgerlichen Demokratie bemüht (S.30), die Demokratie letztlich genauso sakrosankt (das heißt laut Duden hochheilig, unverletzlich) ist, wie das den Bundesbürgern des postfaschistischen Deutschlands mit der Reedukation (Umerziehung) durch die westlichen Siegermächte ab 1945 nachhaltig eingebläut wurde. Dagegen stößt Boney Ms geschärfter Blick in die Geschichte geradezu ein Fenster auf, so daß allerlei Mief entschwindet. Zur Zeit genießen wir - aber bekanntlich nicht alle, die hier leben - verglichen mit dem Faschismus an der Macht, gewisse demokratische Freiheiten, die es auch zu verteidigen gilt, das ist keine Frage. Doch bleibt Fakt, daß bei dieser wie jeder Volksherrschaft (= Demokratie), immer ein überlegener Teil dieses Volkes dem unterliegenden Teil das jeweilige Maß an Selbstbestimmung der verschiedenen Teile des Volkes diktiert, mehr oder weniger modifiziert durch die üblichen demokratischen Spielregeln. Auch im demokratischen Idealfall, der Diktatur des Proletariats, würde immer noch eine Mehrheit des Volkes eine Minderheit drängen oder zwingen sich dem mehrheitlichen Willen anzupassen. (Ich lasse hier außer Acht, daß das im Begriff "Demokratie", enthaltene Subjekt "Volk" als faßbarer Begriff von der gesellschaftlichen Wirklichkeit längst verschlissen wurde. Der nach Blutsverwandtschaft und auch nach kulturellen Merkmalen festumrissene Volkskörper ist nicht nur in den kapitalistisch produzierenden Zentren der globalen Gesellschaft zum Anachronismus geworden, während ihr Klassenantagonismus immer schärfer ins Auge springt).

Zur Zeit trifft weltweit eine Minderheit, die herrschende Elite der Bourgeoisie, alle wesentlichen Entscheidungen, die, auf Gipfeln oder Golfplätzen abgesprochen, in den Alltag der Mehrheit jeder nationalen Bevölkerung hineinwirken und schicksalhaft alle persönlichen Lebensentwürfe der massenhaft proletarisierten Individuen schleichend zermürben oder auch plötzlich zerschlagen können. Kurz: Wir sollten das Verhältnis von RevolutionärInnen und Demokratie niemals ohne den Aspekt der Klassenherrschaft diskutieren.

AVANTI versucht dies immerhin (S.30ff), sieht aber nur die gegensätzlichen Ausformungen von Demokratie und Klassendiktatur, nicht den gleichzeitig bestehenden unzertrennlichen Zusammenhang zwischen beiden, wodurch - mal vom Ziel, der klassenlosen Gesellschaft, her gesehen - mit dem Wegfall der Klassenspaltung jeder Staat, so auch die Demokratie hinfällig ist. Der Staat, in diesem Fall der bürgerliche (S.31), wird von Avanti nicht eindeutig als das entscheidende, weil mit Gesetzgebungshoheit und Gewaltmonopol ausgerüstete Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse gekennzeichnet. Vielmehr attestiert AVANTI ihm einen diffusen Doppelcharakter, wonach dieser Staat, einerseits als scheinbar von den Klassen unabhängiger Souverän höchstselbst die Interessen der herrschenden Klasse "notfalls unter Einsatz des Gewaltapparates von Polizei und Militär" durchsetzt (notfalls!?), andererseits "auch" als ein quasi neutrales "Terrain" dargestellt wird, auf dem die Konfrontation der Klassen stattfindet. Beide Charakterisierungen halten die tatsächlich bestehende demokratisch modifizierte Diktatur der Bourgeoisie bereits außerhalb der - zunächst nur theoretischen - Schußlinie. Was dagegen die revolutionäre Zukunft betrifft, so eröffnet AVANTI die Überlegungen dazu schon mal vorsorglich mit dem berühmten Luxemburg-Zitat über "die Freiheit des Andersdenkenden" (S.46), bekennt sich ausdrücklich "zum politischen Pluralismus" (S.47) und erklärt "die Formel von der Diktatur des Proletariats" für "Theoretisch und praktisch unbrauchbar geworden" (S.48). Wer hört hier nicht die freiheitlich-demokratische Nachtigall trapsen? Da ist irgendwo im Verlauf der Erstellung des neuesten Grundsatzpapiers AVANTIs Vorsatz, nicht in theoretische Beliebigkeit zu verfallen (S.38) abhanden gekommen. Daß sich hier ganz undogmatisch Dogmen der FDGO neben revolutionären Aufgabenstellungen wiederfinden, gleicht aufs Haar dem, was Boney M. anläßlich AVANTIs Erwiderung auf H.Errrossi etwas unfreundlich einen politologischen Kramladen nannte. Ich, außerhalb von AVANTI, finde es schade, daß der in mancher Hinsicht bemerkenswerte Ansatz, wieder mit der Organisierung der RevolutionärInnen zu beginnen so verdorben wird, A.b., Avantigenossin oder -genosse, sagt zu AVANTIs Bündnis gegen Rechts mit Schröder, Schily, Fischer und allen anständigen Deutschen zwecks breiter gesellschaftlicher Mobilisierung, "dafür stehen wir". Anything goes? Ärgerlich nur, daß A.b. während sie oder er dem theoretischen Dissens der Debatte um die jüngste antifaschistische Praxis ausweicht, sich auf allerlei Spekulationen verlegt, die von bis zur Unwürdigkeit lächerlichen Abwerbungsmannövern handeln unter in Wirklichkeit mangels Masse und mangels inhaltlicher Klarheit nicht auszumachenden "Lagern" der Revolution (wo laufen sie denn?) und der Konterrevolution in der Restlinken.

Im Vorwort zum Grundsatzpapier schreibt AVANTI: "Wir hoffen, daß unsere Standpunkte Euch ansprechen, für unsere Politik interessieren oder gar zur Mitarbeit anregen. Ebenso dankbar sind wir aber auch für kritische Anmerkungen, an denen wir unsere Sichtweise überprüfen können". Da wäre noch manches zu sagen. Zum Beispiel, daß es unter Anderem mit den oben genannten Einblicken in die Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie bei AVANTI noch sehr hapert, so daß auch aus den entsprechenden Passagen im Grundsatzpapier eher ein kritischer Regierungsberater oder in diesem Fall der bessere Wirtschaftsminister zu sprechen scheint, als ein Linksradikaler. Aber nach dem, was bisher Avantis zu dieser Debatte beitrugen - schriftlich und gesprächsweise - ist eher zu vermuten, daß sie es so genau gar nicht wissen wollten. (Eva Dockerill)

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