Aus dem Kieler Rat

Ausverkauf gestoppt?

Kieler SPD gegen Komplettverkauf der Stadtwerke

Die SPD steht unter Strom, nicht nur wegen der Wahldesaster. Auch in Sachen Liberalisierung des Strommarktes wankt die SPD hin und her, nicht zuletzt auch die Kieler SPD beim Verkauf der Stadtwerke. Eine Woche vor der Ratsversammlung am 16.9. hatte der Fraktionsvorsitzende Jürgen Fenske die Bombe gezündet. Angesichts des sich verschärfenden Wettbewerbes auf dem liberalisierten Strommarkt müsse auch die Option geprüft werden, die Stadtwerke komplett zu verkaufen. Damit wich Fenske von dem bisher beschlossenen Prüfauftrag ab, worin immer nur von einem Teilverkauf (25,1%, eine sog. "qualifizierte Minderheit") die Rede gewesen war. Bei den anderen Fraktionen und bei den Stadtwerken selbst hatte das Empörung und Unverständnis ausgelöst (LinX berichtete).

Rückzieher vom Rückzieher

Am 14.9. kam dann "Entwarnung" aus Berlin. Wirtschaftsminister Müller wollte die Liberalisierung des Strommarktes zugunsten der kommunalen Energieversorger einschränken. Die Kommunen sollten künftig selbst entscheiden können, ob private Kunden in ihrem Versorgungsbereich den Stromanbieter frei wählen können. Müllers Vorschlag stieß jedoch auf Kritik. Tenor: Der freie Wettbewerb muss bleiben, aber er müsse "fair" sein, indem die kommunalen Anbieter z.B. durch eine Quote gestärkt würden, insbesondere was ökologische Standards wie z.B. Kraft-Wärme-Kopplung betrifft. OB Norbert Gansel bekräftigte dies. Auch die Kieler Stadtwerke, die sich nach eigenen Angaben im Wettbewerb recht gut positioniert sehen, lehnten Müllers Vorschlag ab, er verunsichere die Kunden. Sogar die Grünen bezeichneten den Vorschlag als "faulen Kompromiss", um die Stadtwerke dürften "keine Schutzzäune errichtet werden". Nachdem am 17.9. ein Eilantrag von 13 Städten beim Bundesverfassungsgericht gegen die Liberalisierung des Strommarktes gescheitert war, machte Müller am 19.9. den Rückzieher vom Rückzieher. Er lehnte einen Gebietsschutz für kommunale Energieversorger ab, versprach ihnen aber Rückendeckung durch eine Entlastung bei der Ökosteuerreform.

Das unübersichtliche Hin und Her sorgte auch in der Ratsversammlung für Verwirrung. Gleich zu Beginn der Debatte zog die SPD ihren Antrag zurück, in dem sie für den Verkauf der Stadtwerke "weitere Alternativen wie die Veräußerung weiterer Anteile", sprich auch die Option Komplettverkauf, gefordert hatte. Begründung, so Fraktionsvorsitzender Fenske: Wegen der Befangenheitsregelung habe die SPD dafür keine Mehrheit. Wie schon bei der Auseinandersetzung um die Berufung des neuen Arbeitsdirektors der VVK (LinX berichtete) hat die SPD in Sachen Stadtwerke im Rat keine Mehrheit, weil die Fraktionsmitglieder, die auch im Aufsichtsrat der Stadtwerke sitzen, an Beratung und Abstimmung nicht teilnehmen dürfen. Die Fraktion hatte dagegen vergeblich bei der Kommunalaufsicht geklagt. Fenskes Polemik gegen die Befangenheitsregel schien jedoch völlig inkonsequent vor dem Hintergrund, dass die SPD ohnehin "nicht mit einer Mehrheit von nur einer Stimme über eine so wichtige Sache" beschließen wolle. Vielmehr strebe man wie beim KWG-Verkauf einen breiten Konsens im Rat an. Fenske betonte, es handele sich bei dem Antrag der SPD "nicht um einen Ausverkaufsbeschluss, sondern lediglich um einen Prüfauftrag", der keine Entscheidung vorwegnehme. Nicht besonders glaubwürdig, denn beim KWG-Verkauf war die SPD genau den gleichen Weg gegangen: Erst prüfen, dann die Prüfung so interpretieren, wie man es gerne hätte, dann verkaufen. Der Beschluss der Ratsversammlung vom 10.6., einen Teilverkauf zu prüfen, sei aber, so Fenske, angesichts der "rasanten Veränderung der Energielandschaft" durch den freien Wettbewerb nicht mehr aktuell. Nun müsse man "zugunsten des Unternehmens" und unter "höchster Priorität für die Sicherung der Arbeitsplätze über alle Optionen nachdenken dürfen". Anders als bei der KWG gehe es hierbei jedoch "nicht um Haushaltskonsolidierung, aber dennoch um die Vorsorge für den Haushalt, auf den neue Lasten zukommen". "Ich kann gut verstehen", so Fenske weiter, "dass die erste Nachricht von unseren Plänen deprimierend war. Aber eben weil es um die Arbeitsplätze geht, wollen wir, dass alle Möglichkeiten offen sind".

Demonstration von StadtwerkerInnen in der Ratsversammlung vom 16.9. (Foto: jm)

Das war an die DemonstrantInnen gerichtet, die die Tribüne des Ratssaals zu diesem Zeitpunkt schon verlassen hatten. In weißen Totenhemden, mit Totenkopfmaske und den nicht sonderlich originellen Parolen "Wir wollen nicht sterben!" und "Totalverkauf schafft Not, 1.000 Familien ohne Brot!" hatten StadtwerkemitarbeiterInnen gegen den möglichen Totalverkauf demonstriert. Mit ca. 700 Menschen waren sie vor der Ratsversammlung durch die Stadt marschiert und hatten dann in einer Abordnung eine "Geisterstunde im Ratssaal" (KN-Schlagzeile) inszeniert, was Fenske "als SPD- und ÖTV-Mitglied berührt" hatte.

War also Fenske mit der Kassierung des eigenen Antrags schon halb auf dem Rückzug, griff OB Gansel nochmal in die Vollen. "Die Stadtwerke sind keine städtische Beschäftigungsgesellschaft", rief er den nicht mehr anwesenden Demonstranten zu. "Wir sind gut beraten, jedes Angebot auszutesten", plädierte er erneut für die Ausverkaufsoption, denn "Umweltschutz können wir uns nur leisten, wenn er für die VerbraucherInnen erträglich ist".

Die Oppositionsfraktionen kritisierten scharf den "Dolchstoß" (CDU-Fraktionschef Wulff), das "schlechte Signal" (Grünen-Fraktionsvorsitzender Oschmann) und den "Schlag ins Gesicht" (SUK-Chef Kottek) gegen die Stadtwerke, die die von der SPD los getretene Totalverkaufsdiskussion bedeuteten. Gegen eine Teilprivatisierung sprachen sie sich hingegen nicht aus und stellten auch den "freien" Wettbewerb auf dem Strommarkt nicht in Frage. Einmütig waren alle Fraktionen in der Ablehnung von Wirtschaft-Müllers erstem Rückzieher, ebenso darin, dass man die ganze Geschichte mit dem KWG-Verkauf nicht vergleichen könne. Entsprechend wurde aus dem CDU-Antrag, einem Änderungsantrag der Grünen und einem solchen, den die SPD statt ihres zurückgezogenen Antrags stellte, ein folgenloser gemeinsamer Antrag zusammengelötet. Danach soll die Stadt als Eignerin "alles tun", um Stadtwerke und VVK "zu stärken". Ferner sei die Liberalisierung auf dem Strommarkt "grundsätzlich begrüßenswert. Die Ratsversammlung erteilt allen Überlegungen eine Absage, den Wettbewerb wieder einzuschränken". Zur Wettbewerbssicherung forderte die Ratsversammlung die Bundesregierung auf, sich bei der EU "für einen einheitlichen Stanndard der ökologischen Energiewirtschaft" einzusetzen.

Ja zum kapitalistischen Markt an allen Fronten

Das war aber noch nicht das Ende vom dissonanten Lied um die Stadtwerke. Am 17.9. forderten OB Gansel und die drei VVK-Direktoren in einem offenen Brief die Kieler Bundestagsabgeordneten auf, sich für einen "fairen Wettbewerb" und die entsprechende Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes einzusetzen. Die Tatsache, dass die Stadtwerke auch den ÖPNV mitfinanzieren und dass große Stromkonzerne nicht für die Infrastruktur aufkommen müssten, verzerre den Wettbewerb. Dagegen könne "ein marktkonformes Quotenmodell die Zukunft der ökologisch wertvollen Stromerzeugung (durch Kraft-Wärme-Kopplung - Red.) sichern". Der offene Brief war auch nochmals ein Votum zumindest für den Teilverkauf. Ohne diesen, so eine Antwort auf eine kleine Anfrage der SUK im Rat, drohen den Stadtwerken im Wettbewerb Gewinneinbußen von 25%.

Am 20.9. antwortete der Kieler grüne Bundestagsabgeordnete Klaus Müller in einer Pressemitteilung, die für sich sprach: "Ja zum Wettbewerb, aber nach ökologischen Spielregeln." Die Stadtwerke hätten bei den Grünen "offene Türen eingerannt". Wir setzen uns dafür ein, dass es im kommenden Energiemarkt nicht nur um niedrige Strompreise geht, sondern auch um die Qualität der Stromerzeugung." Die will Müller, wie sollte es bei einer Mittelstandspartei mit Mülltrennung anders sein, "mit marktkonformen Mitteln" sichern.

Noch wirtschaftsliberaler als die Neoliberalen gaben sich die alten Liberalen. Der Kieler FDP-Kreisvorsitzende Heiner Greg warf der Ratsversammlung "billigen Populismus" vor, weil sie die Option Totalverkauf der Stadtwerke ablehne.

Gegen den Ausverkauf - oder doch nicht ganz?

Eine ganz neue Dynamik gewann das Pokerspiel um die Stadtwerke, den "freien" Strommarkt und "ökologische Standards" allerdings erst durch einen außerordentlichen Parteitag der Kieler SPD am 22.9. "Wir erwarten, dass Prüfung und Verhandlung nicht mit dem Ziel eines vollständigen Verkaufs geführt werden", heißt es in einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss zum Stadtwerkeverkauf. Nebenbei bemerkt: "Prüfung und Verhandlung", diese Formulierung zeigt erneut, dass Fenskes Rhetorik vom "Prüfauftrag ohne Vorentscheidung" eine reine Farce war. Im einzelnen wurden Eckdaten für einen Teilverkauf festgelegt, etwa die weitere Sicherung der Ko-Finanzierung des ÖPNV und der Konzessionsabgabe in Höhe von 30 Mio. DM an den städtischen Haushalt. Dennoch bleiben Zweifel am Beschluss der Kieler SPD. Mit nur einer Stimme Mehrheit wurde der Satz "Die Kieler SPD spricht sich gegen den Gesamtverkauf der Stadtwerke aus" angenommen. Gansel und Fenske, unterstützt vom Ortsverein Brunswik, scheiterten so nur knapp mit ihrem Antrag, in diesen Satz ein relativierendes "derzeit" einzufügen. Das könnte in den zukünftigen Auseinandersetzungen noch Anlass für allerlei Rückzieher von Rückziehern von Rückziehern sein.

(jm)