Aus dem Kieler Rat

Sparen mit "Ruck"

Haushaltsdebatte im Kieler Rat

Die wesentlichen Eckpunkte ihres Haushaltsentwurfs für 1999 hatte die SPD-Ratsfraktion bereits in ihrer Klausurtagung Ende November festgeklopft. In Verhandlungen vor der Ratsversammlung am 10.12. war es ihr gelungen, die SUK mit ins Boot zu holen und somit ihre dünne Einstimmenmehrheit auch gegen eventuelle Abweichler aus der eigenen Fraktion abzusichern. Vorangegangen war der Abstimmung die übliche Grundsatzdebatte.

Sparen überall, nur nicht am Rathausturm - auch im Haushalt: 24.000 DM für neue Wimpel (Foto: jm)

Schmerzhaftes, aber nicht ärmliches Sparen

Diese eröffnete OB und Kämmerer Norbert Gansel mit fünf Thesen, die sich weitgehend mit der Vorstellung seines Haushaltsentwurfs der Verwaltung in der Oktoberratsversammlung deckten. "Kiel bringt seine Finanzen wieder in Ordnung", so das Credo der 1. These. Man habe mit einem ausgeglichenen Haushalt "Land in Sicht, aber noch keinen festen Boden unter den Füßen". Jedoch könne man bereits im Nachtragshaushalt Mitte 1999 eine erste städtische Steuer abschaffen, die Zweitwohnungssteuer. "2. Kiel investiert wieder." 500 Mio. DM an privaten Investitionen seien 1999 in Aussicht. Trotz "schmerzhafter Einsparungen" bleibe Kiel aber - drittens - "der sozialen Integration verpflichtet". Niemand stehe "auf der Straße, der arbeiten will". In seiner neoliberalen Stammtischdiktion übertraf sich Gansel mit letzterer Äußerung mal wieder selbst. "4. Kiel steht zur Mitverantwortung für die Kultur." 70 Mio. DM würden für Kultur ausgegeben, und das Theater habe einen Etat, der "weit über der Deckelung von 1994" liege. Von Kaputtsparen könne also keinesfalls die Rede sein. Die Kaputtverlegung der Stadtgalerie ins Neue Rathaus münzte Gansel zur "rentierlichen Investition von 2,5 Mio. DM" um. Diese werde sich innerhalb von 4 Jahren amortisieren. Gansel: "Wir schaffen was Eigenes, auch das ist eine kulturelle Leistung." 5. sei Kiel zwar sparsam, "aber nicht ärmlich". Daß "Kiel feiern kann", werde man u.a. bei der Kieler Woche sehen. "Wir haben keinen Grund, uns zurückzulehnen, aber wir sind einen großen Schritt weiter", resümmierte Gansel.

Solidarität privatisieren

Auch der nächste Redner, SPD-Fraktionschef Jürgen Fenske, stieß in das neoliberale Sparhorn und betete noch einmal ausführlich die Pläne der SPD zum Haushalt herunter (für Details vgl. letzte LinX). Besonders betonte er, daß der Haushalt nicht nur finanziell, sondern auch "sozial ausgeglichen" sei - angesichts der, wenn auch gegenüber dem Kämmereientwurf abgemilderten, realen Kürzungen eine schlichte Lüge. Überdies nutzte Fenske die Generaldebatte zur Abrechung v.a. mit CDU und dem ehemaligen grünen Koalitionspartner sowie zum Resümmee der SPD-Politik im letzten Jahr. In bundespräsidialem Hochmut meinte Fenske, daß "ein Ruck durch Kiel gegangen ist. Es gibt eine Aufbruchstimmung." Daß man sich als SPD aber keinesfalls von anderen Aufbrüchen beeindrucken läßt, schob Fenske gleich nach. In Sachen Verlegung der Stadtgalerie könne die "Lautstärke des Protests allenfalls ein Argument für Oppositionsfraktionen sein, keinesfalls für eine Mehrheitsfraktion, die in der Verantwortung steht. Von Lautstärke können wir uns nicht beeindrucken lassen." Eine klare Drohung an jedweden zukünftigen Protest gegen den SPD-Sparwahn.

Drohungen auch dort, wo die SPD gegenüber Gansels Entwurf korrigierte. Obwohl es Fenske und seine Fraktion bei der Stadtteilkultur (soziokulturelle Zentren Hansastraße, Hof Akkerboom und Kulturladen Leuchtturm) bei den "alten Mitteln" belassen wollen, also auf Gansels 10%ige Kürzungen verzichten, wolle man "mit diesen Einrichtungen gemeinsam Ergebnisverbesserungen erreichen", womit Fenske Evaluation und "Aufgaben- und Effizienzkritik" meint. Aufgeschoben ist der Sparwahn der SPD hier, aber nicht aufgehoben, denn mit einem entsprechenden Antrag wurde diese Evaluation später beschlossen. Ebenso beim Theater, für das "einmalig die Erhöhung des Zuschusses" beantragt wurde. Aber: "Wir verbinden die Erhöhung des Zuschusses mit der deutlichen Erwartung, im nächsten Jahr ein Strukturkonzept zu beraten und zu verabschieden, das den Zuschußbedarf für die Bühnen stabilisiert und auf ein vertretbares Niveau senkt." Z.B. durch Privatisierung: "Die Theater GmbH ist kein Lieblingskind von mir, aber doch - wenn ich in andere Kommunen schaue - eine realistische Möglichkeit, verkrustete Strukturen aufzubrechen."

Zum erneuten Ausfall gegen die Opposition nutzte Fenske die Auseinandersetzung um den Sporthallenbau in Russee, gegen den sich die SPD zugunsten eines Neubaus in Elmschenhagen entschied: "Unsere Entscheidung für Elmschenhagen ist bitter für Russee. Bürgerinnen und Bürger, der Förderverein, ein gesamter Stadtteil hat sich schwer ins Zeug gelegt. (...) Die anderen Fraktionen haben es naturgemäß leichter: Sie können sich an die Spitze der Bewegung setzen, Erwartungen schüren und doch immer billig hinter der breiten Mehrheit der SPD schützend Deckung suchen." Empörung im Ratssaal. Doch Fenske legte noch nach. Die Vorschläge von CDU und Grünen kanzelte er als "schwarz-grüne Koalition der Luftbuchungen" ab. Freilich nicht zu unrecht sprach Fenske den CDU-Anträgen zum Haushalt die "soziale Balance" ab. "Ebenso unseriös, aber unter umgekehrten Vorzeichen", sei "die bemerkenswerte Klientelpolitik der Grünen, die genau in diesen Bereichen kräftige Zuwächse beantragen". Wie seine Bonner Parteifreunde wollte sich Fenske damit zielgenau in der "neuen Mitte" positionieren.

Auf heuchlerische Bemäntelungen des Sparwahns der SPD wollte Fenske zum Schluß seiner Rede jedoch nicht verzichten: "Im Verteilungskonflikt um die knappen Mittel müssen viele Wünsche, aber auch berechtigte Forderungen hintan gestellt werden. Und natürlich ist Politik mit Geld immer leichter als Politik ohne Geld. Wir möchten werben im Interesse der nächsten und übernächsten Generationen für den Weg der Haushaltssanierung, ohne die Solidarität für die aufzugeben, die sie dringend brauchen. Ich möchte allerdings auch hinzufügen, daß Solidarität oder Nächstenliebe nicht nur eine kollektive und staatliche, sondern auch eine individuelle Frage ist. Denn die 'Verstaatlichung der Nächstenliebe', wie Kurt Biedenkopf einmal zu Recht geschrieben hat, würde unsere Gesellschaft im doppelten Sinnen ärmer machen: Sie würde ärmer an ehrenamtlichem Engagement, und sie würde schnell an ihre fiskalischen Grenzen stoßen." Gutmenschelnder kann man den neoliberalen Deregulierungskurs der SPD in den nächsten Jahren kaum beschreiben. Nach US-amerikanischem Modell will sich auch die Kieler SPD aus der sozialen Verantwortung des Staates stehlen und die daraus folgenden "Verwerfungen" durch Forderungen nach "privater Solidarität" abfedern.

"Echtes Sparen ein Fremdwort"

"Zeit zur Umkehr" nannte zwar Arne Wulff (CDU) seine Haushaltsrede, doch diese Umkehr bezieht sich keinesfalls auf den Sparkurs der Mehrheitsfraktion. Den möchten die "Christlichen Demokraten" noch verschärfen. Wenn es nach der CDU ginge, würde im Sozialhaushalt etwa die Bekleidungskostenpauschale für SozialhilfeempfängerInnen gestrichen. "Ist es eine soziale Kürzung, wenn wir die Bekleidungskostenpauschale auf das Antragsverfahren umstellen wollen und uns so Einsparungen von 1,5 Mio. DM (...) versprechen?" fragte Wulff blauäugig und sah in der Ablehnung seines Vorschlags einer Regelung, die "in vielen Umlandgemeinden gang und gäbe" sei, einen Anreiz zur "Einwanderung sozial Schwächerer nach Kiel". Trotz solcher rechten Rhetorik bezeichnete Wulff Fenskes Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit der CDU-Anträge zum Haushalt als "schlicht falsch und unverschämt". "Keiner unser Anträge läuft darauf hinaus, Menschen, die einen gesetzlich verbürgten Anspruch auf soziale Hilfe haben, etwas zu nehmen." Schlicht falsch und unverschämt, denn solche Leistungen sind für Wulff "Ergebnis jahrelanger rot-grüner Klientelpolitik", die "weder mit unseren Aufgaben als Kommune, noch mit unseren Finanzen zu vereinbaren sind". Den Dezember als Beratungsmonat des Haushaltes nutze die SPD dazu "Weihnachtsgeschenke zu verteilen. Sowohl vom Entwurf des Kämmerers als auch den Anträgen von Rot und Grün" sei die CDU deshalb "enttäuscht". "Echtes Sparen" sei für die SPD "ein Fremdwort. Umverteilung statt Entlastung: Das ist Ihre Devise." Zum Schluß seiner Rede schoß Wulff noch einmal scharf gegen die SUK, die den SPD-Haushalt in weiten Teilen mittrug: "Wir lassen uns nicht wie Sie in ein Boot ziehen, das zum Sinken verurteilt ist."

SUK mit SPD in einem Boot

Die SUK selbst sah im Entwurf der SPD das, "was die SUK-Ratsfraktion seit 1994 fordert: Eine konsequente Ausgabendisziplin und einen tiefgreifenden Strukturwandel in der Haushaltspolitik". Der jetzt eingeschlagene Weg sei "grundsätzlich richtig". Jedoch sah Fraktionsvorsitzender Wolfgang Kottek auch Anlaß zur Kritik u.a. am "Mangel an konzeptionellen Maßnahmen zur strukturellen Sanierung des Haushalts", daran, daß die "Verwaltungsmodernisierung nicht mehr auf der Prioritätenliste" stehe und am "starren Blick auf die Finanzen", der "teilweise Visionen vermissen" lasse. Hier komme "die Krämerseele, statt die des Kommunalmanagers" zum Vorschein. Trotz "reichlich Diskussionsbedarf", z.B. beim Sozialticket und Frauennachttaxi, würdige die SUK "die Bereitschaft einer offensichtlich reformierten SPD, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen". Ein vorsorgliches Angebot an die SPD für zukünftige Koalitionen? Auch mit der CDU gibt es allerdings Gemeinsamkeiten. Die CDU habe "eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet", so Kottek, "die wir im Ansatz für durchaus konstruktiv halten". Jedoch vermisse man die Bereitschaft der CDU, "gemeinsam an einer Konsolidierung des Haushalts mitzuarbeiten". Keine Gemeinsamkeiten jedoch mit den Grünen. Sie setzten "die Zukunft Kiels durch unrealistische Forderungen leichtsinnig aufs Spiel".

Nachhaltig haushalten statt Kaputtsparen

Nach diesem Kottau Kotteks vor der SPD stimmte auch Lutz Oschmann für die Grünen der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung im Sinne einer "Nachhaltigkeit in allen Fragen der Politik" zu. Jedoch müsse im Einzelfall bewertet werden, ob Spareffekte "nur kurzfristig oder eben nachhaltig" seien. Als Beispiel für nachhaltiges Sparen nannte Oschmann den grünen Vorschlag der "energetischen Sanierung" öffentlicher Gebäude. Zwar müsse man dafür zunächst investieren, jedoch zahle sich das angesichts der durch die Ökosteuerreform steigenden Energiepreise für "das Unternehmen Stadt" nachhaltig gesehen aus. Im Gegensatz zur SPD sprach sich Oschmann für den Bau der Sporthalle in Russee aus. Durch Eigeninitiative der BürgerInnen (Einwerbung eines besonders kostengünstig bauenden Architekten) seien die Kosten minimiert worden, solch ein Engagement könne "Modell für andere Stadtteile" werden. Dem Hinweis der SPD, sie verfahre mit der Präferenz für den Sporthallenbau in Elmschenhagen nach der Prioritätenliste, entgegnete Oschmann, in Kiel sei es "nicht ungewöhnlich, daß von einer Prioritätenliste abgewichen" werde, wie u.a. das Beispiel der Hein-Dahlinger-Halle in Gaarden zeige.

Im übrigen bezweifelte Oschmann, daß der "ausgeglichene Kernhaushalt" der SPD im Haushaltsvollzug auch ausgeglichen bleibe. So sei der OB "trickreich und unseriös", wenn er mit gewaltigen Sparvolumen argumentiere, dabei aber den Haushaltsansatz 1999 mit dem Nachtragshaushalt 1998 vergleiche, statt entsprechend den Ansatz für 1998 heranzuziehen. An anderer Stelle wieder lasse der OB den Nachtragshaushalt unberücksichtigt, um die Zahlen zu schönen. Weitere Luftbuchungen sieht Oschmann beim Ansatz für die Gewerbesteuereinnahmen. Es sei sicher kein Zufall, daß die 39 Mio. DM Plus bei den Gewerbesteuereinnahmen im vergangenen Jahr genau dem Haushaltsdefizit von 1998 entsprechen. Einnahmeseitig buche die Verwaltung stets sehr restriktiv und veranschlage die Ausgaben eher zu hoch. Auch so könne man enorme Sparanforderungen konstruieren und "Begehrlichkeiten der Ratsversammlung im Vorfeld stoppen".

Zwischenrufenden Unmut des OB zog sich Oschmann zu, als er den anstehenden Verkauf der Stadtwerke ansprach. "Sie sollten sich schämen, sowas hier zu auszuplaudern", ereiferte sich Gansel und korrigierte sofort, "ich meine, zu behaupten, denn 'ausplaudern' würde ja bedeuten, es wäre was dran". Scheint also was dran zu sein. Wie an der Vollprivatisierung der KWG vorbei am Genossenschaftsmodell, wofür Oschmann in der Einstellung von 0,5 Mio. DM für "eine professionelle Verkaufsunterstützung" in den SPD-Haushalt ein Indiz sah.

Ferner kritisierte Oschmann wie Kottek die "faktische Beerdigung der Verwaltungsreform" durch Mittelreduzierungen für die Pilotämter. Dem OB warf Oschmann vor, die Verwaltungsreform passe auch nicht in dessen "Politik nach Gutsherrenart", dazu paßten besser, so Oschmann anspielungsreich, "Maulkörbe und Abmahnungen bei unliebsamen Äußerungen".

Nach dieser Generalkritik am OB, die die SPD weitgehend ungeschoren ließ, verwies Oschmann nochmals auf den grünen Haushaltsansatz, u.a. die Reduzierung der Mittel für die Flughafengesellschaft und die Förderung von Projekten wie etwa "Arbeit für alle" (vgl. letzte LinX). Gegen entsprechende Anträge der Grünen stimmten jedoch später bei der Abstimmung der Einzelpläne alle anderen Fraktionen.

Der Haushalt der SPD wurde schließlich mit wenigen Ausnahmen (z.B. Sporthallenbau in Elmschenhagen vs. Russee) mit den Stimmen der SUK gegen CDU und Grüne verabschiedet.

(jm)