Diskussion

Nazis von der Straße fegen, aber bitte ohne Besen...?

Einige kurze Gedanken zu den Antifaaktionen in der Kieler Holstenstraße an den vergangenen Samstagen, angeregt durch die Rezeption derselben durch die linke Lokalpresse (LinX 11 & 12/01; Gegenwind 06/01), wie auch durch den Umgang der linksradikalen Antifa während und nach diesen Aktionen mit sich selbst.

Sicherlich ist es für eine linke Zeitung/Zeitschrift angezeigt, die in den letzten Wochen stattgefundenen Polizeieinsätze zu skandalisieren, insbesondere die unverhüllte Zusammenarbeit mit Nazis zur gemeinsamen Durchführung einer Flugblattaktion. Doch ist dies noch kein ausreichender Grund Artikel über die behauptete Mobilisierungsstärke und Schlagkraft der Kieler Naziszene zu verfassen und veröffentlichen, wenn zur Untermalung dessen Abläufe verzerrt werden. Eine politische Bewertung jenseits des Eintretens für die nicht namentlich erwähnte freiheitlich-demokratische Grundordnung findet nicht mehr statt.

Wir erwarten von einer linken (linksradikalen?) Presse, dass sie etwas zu linker Strategie und Taktik beizutragen hat. In diesem Fall ist dies auf die aus vielen Teilbereichskämpfen bekannte und praktizierte Art geschehen. Ein adaptiertes Kollektiv der "Guten" wird konstruiert (hier: Antifa, da bspw.: Flüchtlinge), dem bestimmte Eigenschaften zugeordnet werden, wie gewaltfrei, besonnen, "zivilisiert",... Dem (politischen) Gegner werden dementsprechend eben diese Eigenschaften abgesprochen, wenn es nicht sogar ganz mit dem/der SchreiberIn durchgeht, wie beim Vergleich von Nazis mit trainierten Kampfhunden in der LinX 11/01 geschehen. Dieses Vorgehen wäre an sich nicht weiter erwähnenswert, würde es nicht bis in Kreise von AktivistInnen hinein die Diskussion und Praxis bestimmen.

Es ist aber das Gegenteil von emanzipatorisch und fortschrittlich, Situationen politischer Praxis falsch darzustellen, den Gegner übermächtig scheinen zu lassen, uns selbst klein und schutzbedürftig zu machen. Dabei spielt es keine Rolle, aus welcher Motivation heraus so gehandelt wird, sei es selbst eine humanistisch-aufrüttelnde.

Wir sind in der Lage ver-/behinderte Nazimärsche zu begrüßen, womöglich sogar angegriffene Naziläden und nicht wenige von uns empfinden auch über attackierte Nazis mehr als klammheimliche Freude.

Doch genau dorthin führende Aktionsformen müssen dann politisch auch zugelassen werden. Sie müssen dokumentiert werden und verständlich gemacht werden. Und damit müssen sie auch diskutierbar und kritisierbar gemacht werden. Warum das notwendigerweise auch im Rahmen einer Zeitschrift geschehen muss, hängt mit der Unmöglichkeit zusammen, kriminalisierte Aktionsformen öffentlich und damit persönlich zuordnenbar (bspw. auf der Ebene eines Bündnisses) zu diskutieren.

Gerade am 19.5.01 ging die Initiative von Antifaseite aus. Wer war denn wegen wem gekommen? Sind die Nazis etwa zur Durchführung einer Anti- Antifaaktion in die Stadt gekommen, oder um ihre Öffentlichkeitskampagne fortzuführen? Ist es verwunderlich, dass Nazis militant gegen politische GegnerInnen vorgehen? Ist es unerwartet, dass die Bullen antifaschistische offensive Selbstverteidigung wie auch antifaschistische Agitation unterbinden? Wäre es uns denn lieber, wenn Nazis uns überhaupt nicht mehr als (auch potentielle) Bedrohung ihrer Unversehrtheit ansehen? Ist es erstrebenswert im Kampf gegen Nazis ein partnerschaftliches Verhältnis zu Bullen zu haben? Denken wir denn, dass diese Gesellschaft ein Interesse entwickelt Räume für Nazis einzuschränken, ohne dass wir deren Existenz materiell skandalisieren, sie angreifen, das Wegsehen und -hören sabotieren, auch grade mittels Militanz? Eine linksradikale Antifa (und nur dann ist sie eine "Antifa") hat sich ein Bewußtsein von sich selbst zu verschaffen. Dies beinhaltet eine Offenheit den verschiedenen Aktionsformen gegenüber, eine Offenheit jeglicher solidarischer Kritik gegenüber, Offenheit zur Wahrnehmung der gesellschaftlichen Hintergründe des Faschismus. Andernfalls laufen wir Gefahr gerade im Antifabereich zur bloßen Feuerwehr des Bürgertums zu werden. Die Gefahr durch Nazis besteht nicht in ihrer Existenz oder Propaganda, sondern in ihrer zustimmenden Rezeption durch das Bürgertum und den Staat.

Das Ziel ist die herrschaftsfreie Gesellschaft, der Kampf gegen Nazis ein Schritt dahin, oder unpolitisch.
autonome bedenkenträger Kiel
Mitte Juni 2001

Redaktionelle Anmerkung

Anmerkung eines kritisierten Autors

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