Ratssplitter

Dass das WIBERA-Gutachten, zumindest in seinem zweiten Teil, den Einzelbewertungen sozialer Vereine, vollständig unbrauchbar ist (LinX berichtete), diese Meinung aller Fraktionen schlägt sich jetzt auch in einem Ratsbeschluss nieder. Die Grünen stellten zur Ratsversammlung am 17.2. einen Antrag, in dem u.a. gefordert wurde: "Der Teil 2 (Einzelbeurteilung der Angebote) wird im Rahmen der Neustrukturierung der Sozialen Arbeit nicht zur Grundlage genommen, da die Darstellungen des Gutachtens unvollständig sind, nicht mit den vorliegenden Informationen übereinstimmen und insgesamt eine Folgeabschätzung der Vorschläge der WIBERA fehlt." In der Begründung des Antrags heißt es weiter: "WIBERA hat den Teil des Gutachtens, in dem die einzelnen Angebote dargestellt sind, in einer Form abgeliefert, die nicht dem Gutachtenauftrag und den Anforderungen entspricht, die an ein solches Gutachten gestellt werden." Der Antrag der Grünen wurde einstimmig beschlossen, allerdings mit einer relativierenden Änderung der CDU, das Gutachten "nicht zur alleinigen Grundlage" der Neustrukturierung zu verwenden. Überdies hatten die Grünen gefordert, dass die Neustrukturierung der Sozialen Arbeit haushaltsrechtlich erst für das Haushaltsjahr 2002 relevant werden solle. Auch hier setzte sich die CDU mit einer Vorverlegung auf 2001 durch. Ist die Ablehnung des Gutachtens in seinem zweiten Teil einhellig, so dürfe dennoch nicht, so der Antrag der Grünen, der "Prozess der Überprüfung der Sozialen Arbeit der LHS Kiel ergebnislos abgebrochen" werden. Über die Notwendigkeit der Neustrukturierung sind sich ebenso alle Fraktionen einig. Und das verspricht nichts Gutes. Denn das bedeutet, dass an der Sozialen Arbeit gespart werden wird, und das schon im nächsten Haushalt! Dass das nicht auf Basis eines untauglichen Gutachtens geschieht, sollte die sozialen Vereine nicht vorschnell aufatmen lassen. Widerstand ist nach wie vor angesagt - vielleicht auch nicht erst zu den nächsten Haushaltsberatungen, wenn das Kind dann schon wieder in den Brunnen gefallen ist.

Selten einig waren sich alle Fraktionen am 17.2. auch in einem interfraktionellen Beschluss, eine Dokumentationsstätte "Kiel im Nationalsozialismus" ins Leben zu rufen. Der Antrag ist im Zusammenhang mit dem Beschluss aus der Januar-Ratsversammlung zur Aufarbeitung der Geschichte der ZwangsarbeiterInnen in Kiel zu sehen. Die Ergebnisse sollen in der Dokumentationsstätte öffentlich zugänglich gemacht werden. Als Standort für die Dokumentationsstätte wurde die Stadtbücherei im Neuen Rathaus vorgeschlagen. Ferner soll die Dokumentationsstätte mit bereits bestehenden Gedenkstätten durch "Hinweise und Informationen, z.B. Wege einer Stadtführung und Veranstaltungen vernetzt" werden. Bereits 1989 und 1990 hatte der Rat Ähnliches beschlossen. "Diese Beschlussfassung", so heißt es in der Antragsbegründung, sei aber "aus unterschiedlichen Gründen bis heute nicht zur Umsetzung gekommen". Bleibt zu hoffen, dass der neuerliche Beschluss nicht wie die 10 Jahre alten ein bloßer Papiertiger ist.

Weniger einig ist man sich in der Stadtverwaltung über den Gedenkstättencharakter des Mahnmals "Kilian". Nachdem der Mahnmal-Verein in der Ruine ein Kriegsgrab nachgewiesen hatte, was weder überbaut noch abgerissen werden dürfe (LinX berichtete), stellten die Grünen eine entsprechende Kleine Anfrage, ob es zutreffe, dass sich in der Ruine die Überreste von fünf Kriegstoten befänden. OB Norbert Gansel sieht das in seiner Antwort als nicht erwiesen an. Die Quellen seien uneindeutig. Deswegen benutzt Gansel lieber als Quelle einen Leserbrief aus den KN, in dem behauptet wird, das U-Boot U 4708/G950, in dem sich beim Bombenangriff auf den Bunker am 9.4.1945 zwei Soldaten und drei Werftarbeiter befanden, sei nicht im Bunker, sondern noch in der Förde getroffen worden, beim Versuch, den rettenden Bunker zu erreichen. Diese ungeprüfte Behauptung ist für Gansel ein willkommener Beweis, dass der Bunker, der für den Ausbau des Ostuferhafens abgerissen werden soll, kein Kriegsgrab sei. Hahnebüchen auch Gansel Spekulationen, "dass die fünf Personen durch den Detonationsdruck bei dem Bombenangriff vom U-Boot geschleudert wurden" und ihre Gebeine nunmehr in der Förde und nicht im Bunker lägen. Kurzum, der Bunker sei kein Kriegsgrab, insofern bestehe "kein Handlungsbedarf, die Bunkerruine auf Dauer als unantastbare Ruhestätte zu erhalten". Der Verein hatte ferner Strafanzeige gegen die Baufirmen erstattet, die im Bunkerumfeld Aufschüttungen vornehmen (LinX berichtete). Auch hier meint Gansel, "das Verfüllen von Erdreich im Bereich der Bunkerruine beeinträchtigt die ordnungsgemäße Durchführung einer technischen Dokumentation (die Auflage des Denkmalamtes ist - Anm. d. Red.) nicht. Eine Gefahr, dass durch die Baggerarbeiten die Fundamente des Bunkers verrutschen könnten, besteht nicht." Jens Rönnau, Vorsitzender des Mahnmal-Vereins, zeigte sich "entsetzt und betroffen" über Gansels leichtfertige Antwort und warf dem OB vor, nicht alle zur Verfügung stehenden Unterlagen ausgewertet zu haben.

Um den Teilverkauf der Stadtwerke gab es in der vorletzten Woche erneut Gerangel. Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollten Stadtwerke, die mindestens 10% ihres Stromes aus der umweltfreundlichen Kraftwärmekopplung gewinnen und die zu mindestens 75% in kommunalem Besitz sind, mit anfangs 3 Pf/kWh subventioniert werden. Allerdings sollte die Subvention bis zum Jahr 2004 auch wieder abgebaut werden (jährlich um 0,5 Pf). Da die Stadt plant, 25,1% der Stadtwerke zu verkaufen (LinX berichtete), wären die Stadtwerke damit aus der Förderung herausgefallen, wovor sowohl der Vorstandssprecher der Stadtwerke, Eckhard Sauerbaum, wie auch die grüne Ratsfraktion gewarnt hatten. Erneut zeigte sich also, dass der im letzten Jahr beschlossene Teilverkauf Unwägbarkeiten birgt, die den möglichen Gewinn alsbald wieder aufzehren könnten. Allerdings ging es diesmal noch gut aus, denn die Regierungskoalition besserte den Gesetzentwurf nach, so dass nun auch Stadtwerke mit weniger als 75% kommunaler Beteiligung in den Genuss der Förderung kommen.

(jm)